Die Salzburger Festspiele

I

Was bedeutet das: »Salzburger Festspiele«?

Musikalisch-dramatische Aufführungen, welche zu Salzburg in einem eigens dafür gebauten Festspielhaus stattfinden werden.

Warum sollen solche Festspiele stattfinden?

Alljährlich im Sommer, dann und wann aber auch zu andern Zeiten, etwa um Weihnachten, oder sonst im Winter, auch zu Ostern und Pfingsten.

Um was handelt es sich da, um Oper oder Schauspiel oder um Musikfeste?

Um Oper und Schauspiel zugleich, denn die beiden sind im höchsten Begriff nicht voneinander zu trennen.

Wie denn das, man trennt sie doch allerorten?

Die Trennung ist gedankenlos oder nach der bloßen Routine. Die höhere Oper, die Opern Mozarts vor allem, auch die Glucks, Beethovens »Fidelio«, von Wagners Werken nicht zu sprechen, sind dramatische Schauspiele im stärksten Sinn, das große Schauspiel aber setzt entweder eine begleitende Musik voraus, wie sie etwa Goethe für seinen »Faust« verlangte, oder er strebt dem musikhaften Wesen in sich selbst entgegen, wie Shakespeares phantastische Schauspiele, Schillers romantische Dramen oder Raimunds Zaubermärchen.

Wollt ihr also ein Schauspielhaus oder ein Opernhaus bauen? Beides in einem. Wir bauen ein Haus für eine Zuhörerschaft von etwa zweitausend Menschen; man kennt Mittel und Wege, die innere Gestaltung, die Bedingungen des Zuschauens und Zuhörens von Abend zu Abend so zu verändern, wie es einmal für die Oper, das andre Mal für das große Schauspiel am tauglichsten ist.

Gut denn, was stellt ihr nun aber in die Mitte eures Vorhabens, die Oper oder das Schauspiel?

Beides und von beiden das Höchste. Wir stellen in die Mitte Mozarts sämtliche Opern und Goethes »Faust« so vollständig, wie er noch nie auf der Bühne war. Daneben Grillparzer so wie Schiller, Gluck so wie Weber.

Also ein deutsches nationales Programm?

Deutsch und national in dem Sinn, wie sich die großen Deutschen zu Ende des achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, die gültigen Lehrer der Nation, die nationale Schaubühne dachten: es war ihnen selbstverständlich, die Antike einzubeziehen, und selbstverständlich, den Shakespeare wie den Calderon und den Molière nicht außen zu lassen.

Wollt ihr für die Gebildeten spielen oder für die Masse? Wer den Begriff des Volkes vor der Seele hat, weist diese Trennung zurück.

Mozart ist Rokoko – das Publikum verlangt nach Neuem! Mozart ist über und unter den Zeiten. Das Volk rechnet mit Jahrhunderten. Für den Kern des Volkes ist das Große immer neu.

Der »Faust« ist ein schweres Werk, eine Speise für die Gebildeten, was wollt ihr damit?

Das ist ein Irrtum, der »Faust« ist das Schauspiel aller Schauspiele, zusammengesetzt aus den theatralischen Elementen vieler Jahrhunderte, und reich genug an Sinnfälligem, Buntem und Bewegtem, um das naivste Publikum ebenso zu fesseln wie den Höchstgebildeten. Wo ist das erprobt?

In Wien und in Berlin und anderswo; aber immer noch in beengter Weise durch Raum und Zeit; in Salzburg soll es sich ohne Fesseln erproben.

So wollt ihr das bunt Theatralische mit dem Geistigen mischen?

Ein so gemischtes Repertoire entspricht den tiefsten in Jahrhunderten ausgeformten Gewöhnungen des mittleren Europa; wir wollen nicht neue Forderungen aufstellen, sondern die alten einmal wirklich erfüllen.

Sie werden doch an hundert städtischen und ehemals höfischen Theatern erfüllt!

Vielfach mit bestem Willen, aber meist mit unzulänglichen[259] Kräften; darum wollen wir Festspiele schaffen, damit das Richtige und der Nation Gemäße hier in zulänglicher Weise getan werde.

So wollt ihr euch auf das deutsche Publikum beschränken? Im höchsten Maß hoffen wir, daß die Angehörigen anderer Nationen zu uns kommen werden, um das zu suchen, was sie nicht leicht anderswo in der Welt finden könnten.

Finden sie nicht sehr Ähnliches in München und an mancher anderen Stelle?

Schwerlich so wie hier, wo alles aus der einen Absicht erschaffen, alles von vornhinein ihr untergeordnet wird.

Aber Bayreuth, wie stehts damit?

Bayreuth bleibe wie es ist, aber es dient einem großen Künstler; Salzburg will dem ganzen klassischen Besitz der Nation dienen.

Und Oberammergau?

Bleibt einzig in seiner Art, ein ehrwürdiges Überbleibsel alter Kunstübung; aus dem gleichen Geist soll in Salzburg gebaut werden, auf anderen Fundamenten.

Warum dann nicht gleich in Wien, wenn schon nicht in Berlin?

Die Großstadt ist der Ort der Zerstreuung, eine festliche Aufführung bedarf der Sammlung, bei denen, die mitwirken, wie bei denen, die aufnehmen.

II

Wenn schon Festspiele, warum gerade in Salzburg?

Der bayrisch-österreichische Stamm war von je der Träger des theatralischen Vermögens unter allen deutschen Stämmen. Alles, was auf der deutschen Bühne lebt, wurzelt hier, so das dichterische Element, so das schauspielerische.

Wie würdet ihr das begründen?

Durch einen Nachweis, der bis in die Werke Goethes und Schillers hineinreichte wenn es sein muß, die ihren eigentlich theatralischen Gehalt lauter süddeutschen Elementen verdanken, vom Mysterienspiel und Puppentheater bis zur Barockoper.

Was hat das aber mit der Stadt Salzburg zu tun?

Das Salzburger Land ist das Herz vom Herzen Europas. Es liegt halbwegs zwischen der Schweiz und den slawischen Ländern, halbwegs zwischen dem nördlichen Deutschland und dem lombardischen Italien; es liegt in der Mitte zwischen Süd und Nord, zwischen Berg und Ebene, zwischen dem Heroischen und dem Idyllischen; es liegt als Bauwerk zwischen dem Städtischen und dem Ländlichen, dem Uralten und dem Neuzeitlichen, dem barocken Fürstlichen und dem lieblich ewig Bäuerlichen: Mozart ist der Ausdruck von alledem. Das mittlere Europa hat keinen schöneren Raum, und hier mußte Mozart geboren werden.

III

Wer unternimmt es, diese Festspiele ins Leben zu rufen?

Die Salzburger und die übrigen Österreicher nach ihren Kräften.

Was hat der österreichische Staat damit zu schaffen?

Da er nicht reich genug ist, sie allein ins Leben zu rufen, fördert er die Festspiele durch die jährliche Zuwendung einer bedeutenden Summe und durch alle denkbaren Maßnahmen der Verkehrspolitik.

Was hat das Land und die Stadt Salzburg zum Unternehmen beigetragen?

Vor allem durch die Schenkung eines Bauplatzes von unvergleichlicher Schönheit.

Wo liegt dieser Bauplatz?

Im Park des Hellbrunner Schlosses, im Angesicht des Unterberges.

Was gibt den Salzburgern und Österreichern den Mut dazu, im jetzigen Augenblick?

Die Tatsache, daß alle Menschen jetzt nach geistigen Freuden verlangen.

Worauf ruht ihr Anspruch, daß ein Unternehmen dieser Art gerade auf salzburgisch-österreichischem Boden sich verwirklichen müsse?

Auf der durch fünf Jahrhunderte ungebrochenen Theatertradition des bayrisch-österreichischen Stammes, als dessen Blüte sich die Wiener Theaterkultur den höchsten europäischen Rang neben der Pariser errungen hat.

Neuerdings sind es aber Berliner Theater, welche innerhalb Deutschlands und auch im internationalen Kulturleben als führend gelten?

Der Leiter des vorzüglichsten dieser Theater, Max Reinhardt, ist ein Österreicher, sein Wirken ist genau aus der Wiener theatralischen Tradition hervorgegangen, und er gehört zu denen, welche sich dem Salzburger Unternehmen aufs festeste verbunden haben.

Ist das Unternehmen auf Gewinn berechnet?

Zunächst bedarf es der kraftvollen Zusammenwirkung vieler Gönner im Inland und im ganzen Europa, damit in würdiger Weise das Geplante verwirklicht werde. Sollte sich späterhin ein Gewinn ergeben, so wird dieser verwendet werden, um die Darbietung noch zu steigern, den ihr dienenden Apparat zu vervollkommnen.

IV

Was vollbringt oder leistet jeder Gönner und Förderer dieses Unternehmens?

Er stärkt den Glauben an einen Europäismus, der die Zeit von 1750 bis 1850 erfüllt und erhellt hat.

Liegen solche Zeiten nicht auf ewig hinter uns?

Die Entwicklung vollzieht sich in Spiralen.

Wer glaubt heute noch an Europa?

Herder und Napoleon haben diesen Glauben besessen, Goethe und die Französische Revolution begegneten sich in ihm. Er ist das geistige Fundament unseres geistigen Daseins. Ihn mit deutlichen Worten zu verleugnen, hätte niemand den Mut, so kommt alles darauf an, daß er durch aufbauende Taten immer wieder bekannt werde.

Tragen Zehntausende von Kilometern Eisenbahn nicht mehr dazu bei, daß die Nationen einander kennen, als alle Theater und Bibliotheken der Welt?

Umgekehrt: die Eisenbahnen haben die Menschen einander fremd gemacht. Die Nationen sollen einander in ihrem Höchsten erkennen, nicht in ihrem Trivialsten.

 

 

 

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