Fluchtpunkt Kalifornien

Mit „City of Dreams“ setzt Bestsellerautor Don Winslow seine auf drei Bände angelegte letzte große Trilogie mit Teil 2 fort

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen. Danny Ryan hat als Schwiegersohn des irischen Mafiabosses John Murphy gerade einen Dutzende von Opfern fordernden Bandenkrieg hinter sich gebracht. Ausgelöst vom Streit um eine schöne Frau – dem Atlantik entstiegen wie einst Aphrodite den Wellen des Mittelmeers –, ist der Burgfrieden, der zwischen der italienischen Mafiafamilie der Morettis und dem irischen Murphy-Clan in Providence/Rhode Island über Jahre herrschte und sogar gemeinsame Festivitäten erlaubte, über Nacht zerbrochen.

Was den Verlierern der blutigen Fehde nun noch bleibt, ist einzig und allein die Flucht. Sie führt Danny und die Seinen über Tausende von Meilen quer über den amerikanischen Kontinent bis zur Westküste der USA. Hier, in Kalifornien, wo seine einflussreiche und gut vernetzte Mutter lebt und sich liebend gern um ihren Enkel kümmern würde, weil sie sich um ihren Sohn einst zu wenig gekümmert hat, hofft man, die Ruhe für einen Neuanfang zu finden. Doch Winslows Held hat die Rechnung ohne diejenigen gemacht, die ihm auf den Fersen sind: das FBI,  die Überlebenden der Moretti-Familie und schließlich noch die Killer eines mexikanisches Drogenkartells.      

Seitdem Don Winslow (Jahrgang 1953), ehemals Privatdetektiv, Antiterrorausbilder, Safariführer und Prozesssachverständiger, als Thrillerautor unterwegs ist, hat er zweiundzwanzig Romane geschrieben. Die meisten von ihnen waren internationale Bestseller, wurden von der Kritik – teils euphorisch – gefeiert und setzten auch stilistisch neue Maßstäbe für das Genre der Spannungsliteratur. Nun, mit City of Dreams, dem nach City on Fire (HarperCollins, 2022) zweiten Band einer Trilogie, mit der sich Winslow nach eigenem Bekunden von der Literatur verabschieden will, um sich fortan mit Hilfe der sozialen Medien verstärkt ins Politikgeschäft der Vereinigten Staaten einzumischen, damit so etwas wie Donald Trump kein zweites Mal passiert, setzt er die Geschichte um Danny Ryan und die Reste der einst mächtigen Murphy-Gang fort.

Viele Mitstreiter sind es freilich nicht mehr, die Danny ins Exil begleiten. John Murphy, das Oberhaupt der Familie, sitzt im Gefängnis und wird es wohl bis zu seinem Lebensende nicht mehr verlassen. Seine beiden Söhne und etliche Männer aus ihrem Fußvolk haben die Auseinandersetzung mit den Italienern nicht überlebt. Terri, Dannys Frau, ist kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Ian an Krebs gestorben. Alles in allem ist es eine verheerende persönliche Bilanz, die Winslows Held ziehen muss, als er Providence hinter sich lässt und zu neuen Ufern aufbricht. Doch der Blick zurück könnte noch schlimmer ausfallen. Denn immerhin ist es Danny gelungen, seinen an zunehmender Demenz leidenden Vater und den kleinen Sohn, also die beiden ihm nach dem Tod seiner Frau am nächsten Stehenden, in Sicherheit zu bringen.

Allein es ist dies eine Sicherheit, die sich Danny immer wieder mit Kompromissen und fatalen Zugeständnissen erkaufen muss. Um sich das FBI vom Hals zu halten, geht er einen Deal mit einem Bundesagenten ein. Der gemeinsam geplante und vorbereitete Überfall auf eines der in der kalifornischen Wüste liegenden Gelddepots eines mexikanischen Kartells macht ihn zwar reich, lässt andererseits aber auch die Zahl seiner Feinde anwachsen. Und dass es ein Trugschluss ist, sich nach dem Tod des psychopathischen Kartellchefs „Popeye“ Abbarca in Sicherheit zu wiegen, merken Dannys Männer, von denen sich mehrere nach ihrer Ankunft in Kalifornien von ihrem Boss getrennt haben, ziemlich schnell.

Hatte sich der Vorgängerband City on Fire auf Homers Versepos Ilias als antiken Referenztext bezogen– statt Griechen und Trojaner bekämpfen sich bei Winslow Iren und Italiener, der Anlass des Schlachtens, das an der amerikanischen Ostküste allerdings weniger Zeit in Anspruch nimmt als im klassischen Altertum, ist hier wie da eine schöne Frau –, so ist es diesmal Vergils Aeneis, an die sich die Geschichte anlehnt. Auch der Trojaner Aeneas begibt sich nach dem Untergang seiner Heimatstadt zusammen mit seinem Vater und seinem Sohn auf eine lange Irrfahrt, die ihn schließlich an die Küste Karthagos führt. Dort sorgt seine Mutter Venus dafür, dass er sesshaft wird, indem sie ihn mit Hilfe des Liebesgottes Amor an die karthagische Königin Dido bindet. Deren Stelle übernimmt bei Winslow – schließlich ist man nicht mehr im Zeitalter der sagenumwobenen Göttinnen und Königinnen, sondern in jenem der Filmstars – eine Hollywood-Schönheit. Und mit dieser Frau, zu der Danny Ryan von Anfang an einen besonderen Draht hat, wiederholt sich im Grunde das, was an der Ostküste direkt in den blutigen Konflikt zwischen Iren und Italienern führte.

Spätestens seit der Verfilmung seines Romans Savages (2010, deutsch 2011 unter dem Titel Zeit des Zorns), für die er gemeinsam mit dem Regisseur des Films Oliver Stone und dem Mit-Drehbuchautor der Avatar-Reihe Shane Salerno das Drehbuch erarbeitete, kennt sich Don Winslow auch in der Glamourwelt rund um die großen Filmstudios an der Westküste der USA aus. Zu Buche schlägt das in der Geschichte um die Verfilmung des Bandenkriegs von Providence, mit der ein bisher eher unbekannter Regisseur den großen Coup landen will. Die Rolle der Pam, jener verführerischen Schönheit, deren Erscheinen den blutigen Krieg zwischen Iren und Italienern auslöste, soll die mit regelmäßig auftretenden Alkoholproblemen kämpfende Diane Carson – „Amerikas beliebtestes Sex-Symbol“ – übernehmen. Und weil es zweien seiner Männer gelungen ist, sich über einen alten Bekannten als gut bezahlte „Berater“ des als „Reality-Freak“ bekannten Regisseurs in die Filmcrew einzuschmuggeln, taucht auch Danny alsbald am Set von Providence auf, um den beiden immer gieriger werdenden Mobstern auf die Finger zu klopfen.

Der zweite Teil von City of Dreams, der die kurze, tragisch endende Romanze zwischen der Starschauspielerin und dem Mann, dessen Leben gerade mit ihrer Mithilfe verfilmt wird, beinhaltet, ist der gelungenste in Winslows Roman. Hier kann der Autor, der, was die Beherrschung der schriftstellerischen Mittel betrifft, zu den weltweit Besten in seinem Metier zählt, so richtig aus dem Vollen schöpfen. Auf den Punkt geschriebene Dialoge, kurze Sätze, hintergründiger Humor, Kenntnis der Abläufe einer Filmproduktion vor und hinter den Kulissen und nicht zuletzt die Parallelen von Film- und Gangsterwelt – „Beide singen perfekt harmonisch im Chor der Trägheit und der Gier.“ -: Winslow lässt das alles so lebendig werden, dass man wünschte, er würde sich demnächst nicht von der fiktiven Literatur verabschieden, sondern bald einen ganzen Roman über die Traumfabrik Hollywood ins Auge fassen.

Und vielleicht überlegt er es sich auch noch einmal. Oder der Drang, sich weiterhin auch literarisch auszudrücken, ist so stark, dass er ihm letztlich nicht widerstehen kann. Bis er sich nur noch dem politischen Aktivismus widmet, bleibt freilich noch ein letzter Roman. City in Ruins wird der heißen und Don Winslows deutscher Verlag hat ihn für April nächsten Jahres angekündigt. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht mit Danny Ryan und den Seinen. Genug lose Enden hat der zweite Band der Trilogie jedenfalls gelassen.  

Titelbild

Don Winslow: City of Dreams. Thriller.
Harper Collins, Hamburg 2023.
400 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783365001691

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