Juristerei und Poesie und außerdem Theologie

Die Studie „Carl Schmitt und die Literatur“ von Andreas Höfele wirft neues Licht auf den Juristen und Rechtsphilosophen

Von Gerhard PoppenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhard Poppenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Romancier Stendhal las morgens, bevor er zu schreiben begann, zunächst einen Paragraphen des Code Civil. Juristische Prosa ist klar und deutlich und vor allem distinktionsscharf. Das schärft den Verstand und hilft, die Ambiguitäten literarischer Prosa einzuhegen. Der Jurist Carl Schmitt las nicht nur von Jugend an ausgiebig Literatur, er schrieb auch literaturkritische Essays und fügte zudem literarische Figuren in seine juristischen und rechtsphilosophischen Argumentationen ein. Diese Vertrautheit mit literarischer Sprache machte die starre juristische Prosa geschmeidiger. Die Frage, ob sie auch die juristische Argumentation und das rechtsphilosophische Denken maßgebend verändert und ihm, trotz aller Distinktionsschärfe, eine elementare Ambivalenz gegeben hat, könnte nicht nur neue Einsichten in das Werk dieses – um das mindeste zu sagen – umstrittenen Juristen und Rechtstheoretikers geben, sondern darüber hinaus auch in die Besonderheit juristischen Denkens.

Der Anglist und Theaterwissenschaftler Andreas Höfele, der zudem selbst erzählende Prosa schreibt, verfolgt in seinem Buch die Spur der Literatur im Leben und Werk Carl Schmitts. Es handelt sich nicht um einen Essay, der Schmitts Verhältnis zur Literatur erkundet, sondern um eine umfangreiche, aus den Quellen erarbeitete Studie, die ihr Thema gründlich und umfassend behandelt. Dabei zeigen sich mehrere Muster für Schmitts Umgang mit der Literatur. Er liest literarische Werke um der Literatur willen, schreibt auch – er wollte zunächst Philologe werden – über sie, beispielsweise über das Werk des Dichters Theodor Däubler, verfasst selbst literarisch-satirische Texte und hat persönlichen Umgang mit Dichtern wie Theodor Däubler, Hugo Ball, Franz Blei, Ernst Jünger und Konrad Weiß. Er nutzt die Literatur aber auch als Spiegel des eigenen Lebens und nimmt etwa Shakespeares Othello als Typus der eigenen Befindlichkeit. Außerdem verwendet er die Literatur – Melvilles Benito Cereno oder Shakespeares Hamlet – als Denkform, die elementare rechtsphilosophische Probleme zu erschließen hilft. Vor allem aber geben ihm, in der Linie des Dichters als Sehers, die Dichtungen von Theodor Däubler und Konrad Weiß zeitlebens eine geistige Grundorientierung.

Die Tagebücher machen allerdings auch einen zutiefst zerrissenen und grenzpsychotischen Charakter erkennbar, der die Figur des Othello nachgerade identifikatorisch auf sein eigenes Leben auslegt. Der Mohr aus Venedig wird zur Figur seiner Unsicherheit und seines Minderwertigkeitskomplexes, vor allem im Umgang mit Frauen. Höfele überschreibt das lange Kapitel dazu – in Anlehnung an den psychoanalytisch gedeuteten Ödipus-Komplex – mit „Der Othello-Komplex“. Es wäre wohl erkenntnisfördernd, die sich darin ab­zeichnende Verfassung der Persönlichkeit Schmitts in Beziehung zu seinem Denken zu betrachten. Noch das späte Glossarium, tagebuchartig notierte Gedanken der Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, offenbart – trotz immer wieder zu findender tiefsinniger Gedanken – eine ebenfalls tiefe Ruinanz und Charakterlosigkeit. Uneinsichtig bis zur Verstocktheit über seine Rolle im Nationalsozialismus er­geht er sich in Selbstmitleid und fühlt sich ernsthaft als Verfolgter, während er Aufsätze und Bücher, gar Radiosendungen veröffentlicht und als Professor außer Dienst ab 1952 auch einen Teil seiner Bezüge wieder erhält. Es konnte einen damals schlimmer treffen. In weitläufigen Briefwechseln sowie persönlichen Kontakten entfaltet er eine ungemein große Wirkung. In Plettenberg, vermerkt Heinrich Meier bei Gelegenheit des Glossariums, war „die gelehrte Welt zu Gast“, so dass Schmitt damals „mehr ‚Schüler‘ an deutschen und ausländischen Universitäten hat als irgendein Professor seiner Generation“. Höfele spricht von einem „ungeschriebenen Spätwerk“, das in den Briefwechseln einen „massiven schriftlichen ‚Unterbau‘“ hat.

Die Frage, wie sich das erotische und soziale Pathos des persönlichen Trieb- und Affektgrunds in den juristischen und rechtsphilosophischen Logos verwandelt, erörtert Höfele nicht. Er versucht aber zu zeigen, wie aus der Auseinandersetzung mit einem literarischen Text ein juristischer Gedanke und ein rechtsphilosophisches Konzept wird. Am Ende der Analysen von Schmitts privatem Othello-Komplex schlägt Höfele eine Brücke zu der bis heute ungemein wirkungsmächtigen und höchst kontrovers diskutierten Abhandlung Der Begriff des Politischen (1927/1932). Die Charakterisierung Othellos als Fremder geht ein in die Bestimmung des Feinds, die für den Begriff des Politischen, den Schmitt entfaltet, maßgebend ist. Der Feind, so Schmitt, ist „der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist“. Er bildet den „äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation“. Allerdings verweist Höfele auch auf Simmels „Exkurs über den Fremden“ (1908), aus dem Schmitt wesentliche Gedanken übernimmt. Abschließend stellt er etwas vage fest, die Begriffe, mit denen Schmitt „Mitte der zwanziger Jahre Othellos Ehe auf den Punkt bringt, korrespondieren mit den gleichzeitig entwickelten Überlegungen zum Begriff des Politischen“. Die Frage ist, welchen Status eine solche Korrespondenz hat. Wie geht aus Schmitts Frauengeschichten, seinem Verhältnis zur Weiblichkeit und dem Othello-Komplex seine Konzeption des Politischen als Unterscheidung von Freund und Feind hervor? Gründet die politische Unterscheidung von Freund und Feind in einer bestimmten Deutung des Unterschieds der Geschlechter, dem „Tod­hass“ (Nietzsche) zwischen ihnen, in der zeittypischen Misogynie und den von Klaus The­weleit analysierten Männerphantasien?

Sehr erhellend ist das Kapitel über Schmitts Beziehung zu dem Dichter Konrad Weiß (1880–1940). Höfele legt einige Momente der katholisch geprägten Geschichtstheologie des Dichters frei, die Schmitt geteilt und den er bis in die späten Jahre immer wieder gelesen hat. Das betrifft vor allem die Konzeption der Geschichte, die Weiß marianisch deutet. Die Inkarnation Gottes und die Mutter Gottes bilden zwei Dimensionen der Geschichte. Die im 16. und 17. Jahrhundert ausgebildete Ikonik der Immaculata macht diesen Gehalt sinnfällig. Seine ikonologischen Momente bleiben noch zu entfalten. Vor allem aber ist zu klären, wie dieser marianische Gehalt das Rechtsdenken Schmitts und seine Konzeption von politischer Theologie – seinem anderen großen rechts- und geschichtsphilosophischen Theorem – geleitet haben kann. Schmitt hat Weiß bereits 1917 kennengelernt und stand bis zu dessen Tod mit ihm in Kontakt. Er hat ihn bis zuletzt hochgeschätzt und für sein eigenes Denken als maßgebend akzeptiert. Weiß dürfte noch bedeutender für Schmitt gewesen sein als Däubler.

Auch bei Schmitts etymologisch begründetem Sprachdenken, das nachgerade eine Mystik des Klangs und des Reims ist, spielen Däubler und Weiß eine wichtige Rolle. Das Wort, zumal das unkonventionelle, hart gefügte Wort ist für Schmitt das wesentliche Moment der Sprache. Dieses dichterisch geprägte Sprachdenken geht in seine späten Überlegungen zum Nomos der Erde ein. Der Begriff des Nomos selbst – des Gesetzes, also dessen, was Schmitts geistiges Leben begründet und getragen hat – wird aus seiner etymologisch-sprachlichen Form hergeleitet. Auch der Raum als Geltungsbereich des Gesetzes wird von Spekulationen über die Korrespondenz von Ort und Ordnung bestimmt. Schmitt wird als dichterisch geprägter Denker des Rechts erkennbar, und das Recht hat in seiner Deutung seinen tiefsten Grund in einer dichterisch begründeten Sprache und einem entsprechenden Denken. Es könnte aufschlussreich sein, diese Überlegungen Schmitts mit den Arbeiten von Émile Benveniste über die indoeuropäischen Institutionen zu vergleichen.

Höfele betrachtet die etymologisch-klangmystischen Spekulationen Schmitts mit dem für den nüchternen Wissenschaftler gebotenen Abstand. Das Kratyleische einer mimetischen Sprache ist allerdings eine Phantasie seit Menschengedenken. Die Geschichte der „Reise nach Kratylien“ hat Gérard Genette dokumentiert; es sind weiß Gott nicht nur mindere Geister dorthin gereist. Der gängige Hinweis, dass die Klänge in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Nuancen und Werte haben, ja sogar ganz verschieden sind, ist kein starker Einwand, denn es ist denkbar, dass einzelne Sprachen oder Sprachgruppen ihre besonderen Klangbedeutungen haben und ihre je eigene Vokal- und Konsonantenharmonie bilden. Der Dichter Jean Cocteau hat den Namen Marlene Dietrichs entsprechend gedeutet; er beginne mit einer Liebkosung und ende mit einem Peitschenschlag. Das gilt selbstverständlich nur im Französischen: Mar­lène Dietrisch. Gibt es eine treffendere Charakterisierung dieser faszinierenden Frau? Parallel zu Schmitts Spekulationen hat in Ungarn Istvan Fónagy, ein wissenschaftlicher Linguist, die Klangbedeutung der Laute erforscht – und ist zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen.

Entscheidend bei Schmitt ist aber, dass er die Klanggestalt deutscher Wörter unbedenklich verabsolutiert – ohne das Körnchen Salz Cocteaus. Schmitt scheint keinen Sinn für Ironie gehabt zu haben. Oder seine spekulative Kraft reichte dann doch nicht – trotz seiner Faszination durch die Freund-Feind-Figur –, den von ihm immer wieder angeführten Satz Däublers, der Feind sei die eigene Frage als Gestalt, in seiner tiefsten Bedeutung zu erfassen und zu akzeptieren. Der absolute Feind ist – geschichtstheologisch gedeutet – Satan, der Widersacher. Der Teufel ist die Ironie Gottes; deshalb reimt sich im Deutschen, wie Goethe erkennen musste, auf ihn nur der Zweifel. Wegen seines bornierten Germanozentrismus konnte sich Schmitt die Einsicht nicht erschließen, dass jede Sprache – neben ihrer relationalen Grundverfassung – ihre je eigenen Urworte hat – die Zauberworte, die die Welt zum Klingen bringen. Dass die Verführungskraft des Charmes – das Wort geht etymologisch auf carmen – Lied oder Gedicht zurück – zu einem guten Teil sprachlich wirkt, ist eine hinlänglich bekannte Weisheit. In dieses Feld gehört auch Schmitts Mystik des Reims. Den Gleichlaut betrachtet er ebenfalls als eine sprachliche Urform. Auch dazu gibt es eine sprachwissenschaftliche Parallele. Roman Jakobson hat in Linguistik und Poetik (1960) Gedanken zum Reim entwickelt, die seinen strukturalistischen Positivismus übersteigen. Er war ein polyglotter Weltbürger und vor allem ein zu guter Leser von Dichtung, um ein nur banausischer Linguist sein zu können.

Othello, Benito Cereno oder Hamlet werden, so Höfele, für Schmitt zu „Symbolgestalten“, in denen „sich die Spiegelung seiner eigenen Situation mit dem Schicksal Deutschlands und Europas überschneidet“. Das ist eine Dimension seiner Neigung zur Literatur, die aber immer ein bisschen individualistisch-subjektiv bleibt. Es geht ihm um sich selbst und sein Verhältnis zu Deutschland und Europa. Doch der Jurist und politische Theoretiker muss zuletzt ausgehend vom Allgemeinen und Objektiven denken. Der Subjektivismus des modernen Menschen gehört zu Schmitts geistigen Feindbildern. Deshalb wird bei Benito Cereno – die Erzählung ist selbst schon politisch intendiert – die literarische Figur zur Allegorie der allgemeinen Situation, in der Schmitt sich spiegelt, nicht diese in sich. Auch die Dichter Däubler und Weiß sind nicht nur persönlich für Schmitt bedeutsam. Sie sind Gestalten einer objektiven Deutung der allgemeinen Lage; sie geben Schmitt Orientierung, und er lässt sich von ihnen etwas sagen. Sie sprechen wahr, und der juristisch-politische Denker überführt diese Wahrheit in sein Denken, das deshalb ebenfalls Wahrheitsanspruch erhebt.

An Schmitts Auseinandersetzung mit Walter Benjamins Hamlet-Deutung in dessen Ursprung des deutschen Trauerspiels ließe sich ein bedeutendes Moment der geistigen Physiognomie der beiden Denker verstehbar machen. Schmitt widerspricht Benjamins christlicher Deutung des Hamlet aus einer nostalgisch-reaktionären Sehnsucht nach der Einheit der Christenheit vor der Kirchenspaltung durch die Reformation. Wahrhaft christlich ist nur das ungeteilte Christentum. Auch Benjamin deutet das Zeitalter der Kirchenspaltung als Beginn des Verfalls der Moderne. Der Ursprung des deutschen Trauerspiels meint nicht nur den Beginn der Dramengattung, sondern mit ihr eine geistesgeschichtliche Epoche, deren literarische Signatur das Trauerspiel ist. Die barocke Allegorie und die romantische Ironie sind für ihn die Denkformen dieser Epochensignatur. Schmitts Rede vom Mythos im Politischen hat dagegen etwas anderes, etwas Ganzheitliches im Sinn. Ein solcher Versuch der Restitution eines ungespalten Heilen hat im Angesicht des Sturms der (Prä)Moderne, den Benjamin im Geist der ironischen Allegorie denkerisch zu bewältigen versucht, zuletzt etwas von politischem Kitsch für nicht einmal besonders höhere Ansprüche.

Der Disput zwischen Schmitt und Hans Blumenberg über die Frage der politischen Theologie und der Säkularisierung gipfelt in der jeweils unterschiedlichen Deutung von Goethes „sonderbarem, aber ungeheurem Spruch“: nemo contra deum nisi deus ipse – niemand gegen Gott, wenn nicht Gott selbst. Der Spruch wird für Schmitt zur Denkfigur, mit der er Blumenbergs These von der Legitimität der Neuzeit in ihrer heillosen Affirmation der Moderne erkennbar macht. Wenn er die Selbstbehauptung Blumenbergs als Selbstermächtigung auslegt und damit, so Höfele, an das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 erinnert, wird Schmitts Kampf gegen Blumenberg – der 1940 wegen des jüdischen Hintergrunds seiner Mutter vom Theologiestudium ausgeschlossen worden war – auf perfide Weise bedingungslos. Er deutet mit dieser Korrespondenz an, dass die Linie der Neuzeit, die Blumenberg nachzeichnet und selbst weiterzieht, eine Konsequenz in der Selbstermächtigung von 1933 hatte – dass also Blumenbergs These ein Teil des Problems ist.

Der Disput zeigt noch einmal, wie sehr Schmitt nicht nur literarische Figuren in sein Denken integriert, sondern wie er letztlich auch literarisch denkt. Der Spruch Goethes ist die Figur der Feindschaft überhaupt als Verfassung einer politischen Theologie und theologischen Politik. Diese Figur des Schismas ist in keine eindeutige Begrifflichkeit aufzulösen oder aufzuheben. Sie ist die Figur des Figurativen überhaupt, das damit am Ende doch – gegen seine eigene psy­chomentale nostalgische Grundhaltung – als der Denkstil Schmitts erkennbar wird.

Die Studie Höfeles zeigt, wie bedeutend Literatur und Dichtung für Schmitt waren. Sein Denken bildet eine sonderbare Konstellation aus Recht und Theologie, Mythos und Dichtung. Die entscheidende Frage ist, wie diese Konstellation zu verstehen ist. Höfele hat sie sichtbar und das Problem als Aufgabe erkennbar gemacht. Dank seiner Studie wird man Schmitts Schriften wohl noch einmal neu lesen müssen und über ihn womöglich in manchen Punkten umlernen können.

Titelbild

Andreas Höfele: Carl Schmitt und die Literatur.
Duncker & Humblot, Berlin 2022.
523 Seiten , 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783428186082

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