„In einem Roman gibt es keine Grenzen, nichts ist unmöglich“

Multitalent Laetitia Colombani arbeitete lange Zeit als Schauspielerin, Regisseurin und Drehbuchautorin, bis sie mit Anfang vierzig ihren ersten Roman La Tresse (dt. Titel Der Zopf) schrieb. Ihr Debüt erzählt die Geschichte dreier Frauen, die in Indien, Italien und Kanada ihren eigenen Kampf für ein selbstbestimmtes und selbst gewähltes Leben führen. Während Colombani sich in den letzten Jahren hauptsächlich ihrem literarischen Schreiben widmete, kehrte sie kürzlich mit der filmischen Adaption von Der Zopf wieder zum Film zurück. Hierfür schrieb die französische Autorin nicht nur das Drehbuch, sondern führte auch Regie. Im Interview mit LITAFFIN erzählt Laetitia Colombani von der unterschiedlichen Arbeit an Romanen und Drehbüchern, ihrem bis dato aufwendigsten Filmprojekt in drei Ländern und dem Neuschreiben ihrer Geschichten für die Kinoleinwand.

Interview von Hannah-Lou Multhaup

©Hannah-Lou Multhaup

Frau Colombani, Sie haben lange Zeit in der Filmbranche unter anderem als Drehbuchautorin gearbeitet. Wie war es da für Sie, ihren ersten Roman zu schreiben? Warum wählten Sie für ihre Geschichte Der Zopf diese Form und nicht die große Kinoleinwand?

Laetitia Colombani: Ich schreibe eigentlich, seit ich ein Kind bin. Ich erinnere mich, mit etwa acht Jahren viel Zeit damit verbracht zu haben, kleine Gedichte und Kurzgeschichten zu verfassen. Das war damals mein Hobby. Dann war ich von der Filmwelt fasziniert, ich wollte Schauspielerin werden und Regisseurin. Also begann ich Drehbücher für Kurzfilme zu schreiben und kurz darauf ein Filmstudium an der Louis-Lumière, der Nationalen Filmschule in Paris. Nach fünfzehn Jahren Arbeit beim Film hatte ich dann das Gefühl, eine neue Schreiberfahrung zu brauchen. Ich schrieb damals auch Drehbücher für Theaterstücke und hatte ein Musical inszeniert, das auch sehr erfolgreich war und dachte mir, wie wäre es mit einem Roman. Ich erhoffte mir mehr Freiheit im Schreiben eines Romans und auch etwas persönlicher schreiben zu können als bei meiner Arbeit an Drehbüchern. Ich war damals vierzig und hatte das Gefühl, in dieser Phase meiner Karriere ein neues Abenteuer, eine neue Erfahrung zu brauchen. Und ich hatte diese Geschichte im Kopf, die von Frauen auf der ganzen Welt erzählt. Ich habe mir ein Jahr Auszeit von meiner Arbeit beim Film genommen, die Geschichte aufgeschrieben und gehofft, einen Verlag zu finden. Ich hätte nie erwartet, dass Der Zopf so erfolgreich sein würde. Für mich war es bereits ein Erfolg, überhaupt veröffentlicht zu werden und ich war wirklich überrascht, dass die Leute das Buch liebten.

Was war für Sie neu am Schreiben eines Romans und wie unterscheidet sich dieses von Ihrer Arbeit als Drehbuchautorin?

Laetitia Colombani: Ich glaube, während des Schreibens von Der Zopf habe ich entdeckt, wie schön es ist, völlig frei zu sein. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, muss ich immer daran denken, dass es nicht so viel kosten darf. Ich denke an die Realisierung bestimmter Szenen, was möglich sein wird und was eher schwierig sein wird umzusetzen. Es gibt beim Drehbuchschreiben viele technische Aspekte, die einen einschränken. In einem Roman gibt es keine Grenzen, nichts ist teuer, nichts ist unmöglich und man kann tun und lassen, was man will. Das literarische Schreiben ermöglicht mir auch, mich besser in meine Figuren hineinzuversetzen und sehr nah an ihnen zu bleiben. Ich taste mich anders an sie heran, bewege mich in ihren Köpfen, während es mir beim Drehbuchschreiben schwerer fällt, diese Nähe zu meinen Figuren aufzubauen. 

Das Drehbuch zu Der Zopf schrieben Sie gemeinsam mit der Schauspielerin und Drehbuchautorin Sarah Kaminsky. Wie war die gemeinsame Arbeit an Ihrem Stoff und warum haben Sie sich für diese Zusammenarbeit entschieden?

Laetitia Colombani: Sarah Kaminsky ist eine sehr enge Freundin von mir. Ich kenne sie seit über zehn Jahren, wir haben uns damals als Drehbuchautorinnen kennengelernt und schon oft für die Kinoleinwand zusammengearbeitet. Sie war auch diejenigen, die mir vor vielen Jahren riet, eines Tages einen Roman zu schreiben, weil sie schon früh eine gewisse Literarizität in meinen Drehbüchern erkannt hat. Sarah las damals die ersten Textproben zu meinem Roman Der Zopf und wir diskutierten anschließend darüber. Sie liest meine Texte und ich lese viele ihrer Texte. Sie ist eine echte Partnerin für mich und ich vertraue ihr.

Als der Produzent mir vorschlug, meinen Roman zu verfilmen, stand für mich fest, dass ich Sarah an meiner Seite brauche. Denn ich wusste genau, was mein Roman ist, und ich konnte mir vorstellen, was für ein Film er sein sollte, aber Sarah war meine Augen. Ich war zu nah an meiner Geschichte dran und brauchte manchmal mehr Abstand und Sarah war dieser Abstand. Sie ermutigte mich auch, mir die Freiheit zu nehmen, vom Roman abzuweichen. So hatte ich am Ende die Möglichkeit, meine Geschichte auf eine, wie ich finde, bessere Art und Weise neuzuschreiben. Viele neue Ideen zum Drehbuch entstanden in der Zusammenarbeit mit Sarah, aber auch in der Kooperation mit dem Cast und der Filmcrew, deren Vorschläge ich oftmals in das Drehbuch einarbeitete. Ich denke, die Erzählung im Film ist besser gelungen als im Buch. Für mich als Künstlerin war es eine einzigartige Möglichkeit, meine eigene künstlerische Arbeit zu präzisieren, zu modifizieren und auch zu verbessern.

Ihr Film Der Zopf spielt in drei Ländern und wurde in drei verschiedenen Sprachen mit unterschiedlichen Filmcasts und -crews auf drei Kontinenten gedreht. Wie ist es Ihnen gelungen, diese drei Geschichten in einem Film zusammenzuführen und was waren bei diesem Projekt Herausforderungen für Sie als Regisseurin?

Laetitia Colombani: Für mich als Regisseurin war es die größte Herausforderung, diese drei Filme, die es in gewisser Weise sind, zu drehen, denn ich hatte drei Casts und drei technische Crews in Kanada, Indien und Italien und eine Produktion in Frankreich. Wir haben einen Monat in jedem Land verbracht. Die größte Schwierigkeit bestand hierbei darin, die Kontinuität des Films, die Storyline im Auge zu behalten. Als ich beispielsweise in Indien mit meiner fantastischen Besetzung drehte, musste ich bedenken, dass die nächste Szene im Film in sechs Monaten in einem anderen Teil der Welt mit einer anderen Besetzung und Crew gedreht werden würde. Ich musste immer vor Augen haben, dass ich eine Geschichte erzähle: Drei Stimmen, aber ein Lied.

Am schwierigsten war es für mich, als ich am Ende der Dreharbeiten Indien verließ. Ich reiste direkt im Anschluss nach Kanada mit nur ein paar Tagen Unterbrechung in Paris. In Kanada stieß ich dann auf eine ganz andere technische Crew und natürlich eine sehr andere Geschichte als die von Smita in Indien, die es zu erzählen gab. Es war eine intellektuelle sowie künstlerische Herausforderung. Ich habe seit fünfzehn Jahren nicht mehr als Regisseurin gearbeitet, und dann war es für mich, als würde ich drei Filme gleichzeitig drehen.

Und ganz am Ende steht dann der Schnitt und die Montage, zwei Prozesse, die mir sehr am Filmemachen gefallen. Für mich ist das Schneiden des Filmmaterials wie ein erneutes Schreiben der Geschichte. Es ist eine andere Art des Schreibens; es geht ums Auswählen, einen Rhythmus finden und darum eine Harmonie zwischen den Teilen herzustellen. Ich verbringe oft Monate gemeinsam mit dem Editing-Team im Schnittraum. Und auch die Arbeit mit Ludovico Einaudi am Soundtrack des Films war wirklich besonders. Im Buch gibt es einige poetische Passagen, die eine Verbindung zwischen den drei Kontinenten herstellen, die im Film fehlen. Die Musik war für mich hier eine weitere Erzählstimme, welche die Geschichten von Smita, Giulia und Sarah verbindet.

Ein weiterer Teil Ihrer filmischen Arbeit ist die Schauspielerei. Sie haben in einigen Filmprojekten als Schauspielerin mitgewirkt und auch in Der Zopf übernehmen Sie eine kleine Rolle. Wie war diese Erfahrung für Sie in Ihrem eigenen Film einmal vor der Kamera zu stehen und was bedeutet die Schauspielerei für sie heute?

Laetitia Colombani: Ich liebe die Schauspielerei. Ich fühle mich wie ein Kind, wenn ich schauspielere. Es ist ein reines Vergnügen für mich. Als Regisseurin übernimmst du die Kontrolle, du musst eigentlich immer alles im Blick haben. Als Schauspielerin ist das anders, du kannst dich in dem Moment gehen lassen, du bist freier und probierst dich aus. Die Szene mit mir als Hannahs Lehrerin haben wir an den letzten beiden Drehtagen in Kanada gedreht. Kim Raver, Sarah Abbott und ich, wir hatten eine wirklich tolle Verbindung als Frauen, und obwohl es nur eine kleine Rolle für mich im Film war, fühlte es sich großartig an, auch ein Teil der Besetzung zu sein und die Chance zu habe, mit meinen Schauspielerinnen zusammen zu spielen.

Wird Der Zopf in allen drei Produktionsländern gezeigt werden und wie fiel bisher die Reaktion auf Ihren Film in den unterschiedlichen Ländern aus?

Laetitia Colombani: Auf einem Filmfestival in Kalkutta (Indien) wurde Der Zopf gezeigt und sehr positiv aufgenommen. Einige Menschen waren sehr froh, dass wir uns in dem Film dem Kastensystem Indiens und insbesondere der Stellung der Dalits (Anm. Bezeichnung für Angehörige der untersten Gruppe der hinduistischen Gesellschaft) widmen. Das Thema stellt in Indien immer noch ein großes Tabu dar und die meisten großen indischen Filmproduktionen sprechen nicht über diesen Aspekt der indischen Gesellschaft.

Der Film wurde auch im französischen Teil Kanadas gezeigt und war recht erfolgreich. Es ist wirklich interessant, den Film in verschiedenen Ländern und Gesellschaften zu zeigen. Jedes Publikum stellt andere Fragen, meistens sind es Themen, die die Gesellschaft, in der sie leben, betreffen. Während in Indien viele Fragen zum indischen Cast und den Dalits gestellt wurden, kamen aus dem kanadischen Publikum einige Fragen zur Vielsprachigkeit des Films, ein Thema, das Kanada durch seine eigene Mehrsprachigkeit beschäftigt. Jede Kultur reagiert anders auf das, was der Film ausdrückt, aber alle sind von der Verbindung zwischen den drei verschiedenen Welten berührt. Ich denke, in meinem Film geht es um diese Verbindung zwischen uns, sichtbare wie auch unsichtbare Verbindungen.

Das Interview wurde in englischer Sprache geführt und von Hannah-Lou Multhaup ins Deutsche übersetzt.

Der Zopf läuft seit dem 7. März 2024 in den deutschen Kinos.

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