Karl Kraus zum 150. Geburtstag

Da ich keine wirkliche Zeit zum Schreiben eines umfassenden Essays habe und ich zudem in meinem Blog schon manche Würdigung brachte – immerhin ist Kraus einer der heimlichen Ahnherren des Grandhotel Abgrund – so lasse ich ihn zu seinem Geburtstag am besten selber sprechen. Vielleicht angefangen mit dem schönsten Zitat:

„Den Weg zurück ins Kinderland möchte ich, nach reiflicher Überlegung, doch lieber mit Jean Paul als mit S. Freud machen.“

Und im Blick auf Kritik und die erste Ausgabe der „Fackel“ nur soviel:

„Das politische Programm dieser Zeitung scheint somit dürftig; kein tönendes ‚Was wir bringen‘, aber ein ehrliches ‚Was wir umbringen‘ hat sie sich als Leitwort gewählt.“ (Kraus, Die Fackel, Nr. 1, 1899)

Vor allem auch im Blick auf die Zeitungen:

„Ich pfeife auf den Text, ich bin imstande, das Antlitz der heutigen Welt mir aus dem hinteren Annoncenteil zusammenzustellen.“ (Karl Kraus, Die Katastrophe der Phrasen)

„Es kommt gewiss nicht bloß auf das Äußere einer Frau an. Auch die Dessous sind wichtig.“ (Kraus, Fackel 272/273 46)

„Man kann eine Frau wohl in flagranti ertappen, aber sie wird noch immer Zeit genug haben, es in Abrede zu stellen.“ (Kraus, Fackel 275/276 28; Sprüche und Widersprüche)

„Nichts ist unergründlicher als die Oberflächlichkeit des Weibes.“ (Kraus, Fackel 229 8; Sprüche und Widersprüche)

„Sie sagte, sie lebe so dahin. Dahin möchte ich sie begleiten!“ (Kraus, Fackel 406/412 148; Nachts)

„Es empfiehlt sich, Herren, die das Angebot einer Zigarre mit dem Satz beantworten: ‚Ich sage nicht nein‘, sofort totzuschlagen. Es könnte nämlich sonst der Fall eintreten, dass sie auf die Frage, wie ihnen eine Frau gefalle, die Antwort geben: ‚Ich bin kein Kostverächter'“ (Kraus, Fackel 315/316 35)

„Wenn ich sicher wüsste, dass ich mit gewissen Leuten die Unsterblichkeit zu teilen haben werde, so möchte ich eine separierte Vergessenheit vorziehen.“ (Die Fackel 251/252 24; Sprüche und Widersprüche)

„Der Fortschritt, der den Kopf unten und die Beine oben hat, strampelt im Äther und versichert allen kriechenden Geistern, daß er die Natur beherrsche. Er belästigt sie und sagt, er habe sie erobert. Er hat Moral und Maschine erfunden, um der Natur und dem Menschen die Natur auszutreiben, und fühlt sich geborgen in einem Bau der Welt, den Hysterie und Komfort zusammenhalten. Der Fortschritt feiert Pyrrhussiege über die Natur. Der Fortschritt macht Portemonnaies aus Menschenhaut.“ (Karl Kraus, Die Entdeckung des Nordpols, in: Die chinesische Mauer)

„Nichts da, ich bin kein Raunzer; mein Haß gegen diese Stadt ist nicht verirrte Liebe, sondern ich habe eine völlig neue Art gefunden, sie unerträglich zu finden.“

„Was Berlin von Wien auf den ersten Blick unterscheidet, ist die Beobachtung, daß man dort eine täuschende Wirkung mit dem wertlosesten Material erreicht, während hier zum echten Kitsch nur echtes verwendet wird.“

„Wien wird jetzt zur Grossstadt demolirt. Mit den alten Häusern fallen die letzten Pfeiler unserer Erinnerungen, und bald wird ein respectloser Spaten auch das ehrwürdige Café Griensteidl dem Boden gleichgemacht haben. Ein hausherrlicher Entschluss, dessen Folgen gar nicht abzusehen sind. Unsere Literatur sieht einer Periode der Obdachlosigkeit entgegen, der Faden der dichterischen Production wird grausam abgeschnitten. Zu Hause mögen sich Literaten auch fernerhin froher Geselligkeit hingeben; das Berufsleben, die Arbeit mit ihren vielfachen Nervositäten und Aufregungen spielte sich in jenem Kaffeehause ab, welches wie kein zweites geeignet schien, das literarische Verkehrscentrum zu repräsentiren. Mehr als ein Vorzug hat dem alten Locale seinen Ehrenplatz in der Literaturgeschichte gesichert.“ (Kraus, Die demolirte Literatur)

Und für die Flaneure und Spaziergänger dieser Welt und jene, die sich in den Großstädten verlieren, etwa in den Banlieus, in den Vorstädten an den Grenzen, wo die Städte in die Natur ausfransen oder in den Zentren, sei zum Abschluß einer der schönsten Sätze von Kraus gebracht:

„Ich war stets anspruchslos, wenn es die Wahl der Anlässe galt, um zu Erlebnisse zu gelangen, und ich verschmähte jene starken Reizmittel, die die schwachen Seelen brauchten, um eine trügerische Wirkung mit Schaden zu erkaufen. Kurzum, die vielen Bibliotheken und Museen, an denen ich im Leben vorbeigekommen bin, hatten sich über meine Aufdringlichkeit nicht zu beklagen. Dagegen zog mich von jeher das Leben der Straße an, und den Geräuschen des Tages zu lauschen, als wären es die Akkorde der Ewigkeit, das war eine Beschäftigung, bei der Genußsucht und Lernbegier auf ihre Kosten kamen. Und wahrlich, wem der dreimal gefährliche Idealismus eingeboren ist, die Schönheit an ihrem Widerspiel sich zu bestätigen, den kann ein Plakat zur Andacht stimmen!“ (Karl Kraus, Die Welt der Plakate)

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