Patricia Highsmith macht aus einem Hals einen Baum. Und aus einem Ruder eine Axt. So konnten wir Mr. Ripleys Morden nie widerstehen

Die Schriftstellerin liess gewöhnliche Menschen zur Mordwaffe greifen. Am 19. Januar würde die Erfinderin von Tom Ripley hundert Jahre alt.

Jan Wilm
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Die Romane von Patricia Highsmith loten menschlichen Abgründe aus. Im Privatleben umgab sie sich lieber mit Katzen.

Die Romane von Patricia Highsmith loten menschlichen Abgründe aus. Im Privatleben umgab sie sich lieber mit Katzen.

Schweiz Literaturarchiv

Im Kriminalroman haben Schurken kein leichtes Spiel und selten eine hohe Lebenserwartung. Nur die Schnüffler triumphieren. Wo aus dem Roman eine Serie wird, treten meist nur sie immer wieder auf. Anders bei Patricia Highsmith. Sie stellt ihren charmanten Schwindler und kaltblütigen Serienmörder Tom Ripley ins Rampenlicht – über fünf Romane hinweg.

«Der talentierte Mr. Ripley» (1955) macht den Auftakt der Serie und ist ein kunstvoll ausgeklügeltes, schnörkelloses Meisterstück. Highsmith schickt darin den unscheinbaren Schmalspurganoven, der in Amerika ein zielloses Leben führt, ins sonnenheisse Italien. Sein Ziel: Er soll Dickie Greenleaf, einen Müssiggänger und flüchtigen Bekannten, nach Amerika zurückholen. Mit dem nötigen Tagessatz ausgestattet, beginnt Ripley seine Karriere – ausgerechnet als eine Art Behelfsdetektiv. Ist er doch Gesandter für Dickies Vater (und Highsmiths Buch damit auch eine bösartige Variation auf Henry James’ «Die Gesandten»).

Mörderisch cool

Damit erfindet Highsmith den wohl komplexesten Charakter eines Œuvres, das nicht arm ist an tiefgründigen, verschatteten Figuren. Ripley spürt Dickie auf und empfindet für den freundlichen Lebenskünstler eine Zuneigung, die zunächst homoerotische Züge annimmt und dann in eine narzisstische Vernichtungswut umschlägt. Als die beiden einen Bootsausflug vor San Remo unternehmen, beschliesst Ripley eiskalt, seinen geliebten, gehassten Freund zu erschlagen und Dickies Identität anzunehmen.

Zweimal wurde der erste Ripley-Roman verfilmt, 1960 von René Clément als «Nur die Sonne war Zeuge» mit Alain Delon als Ripley und 1999 von Anthony Minghella unter dem Romantitel mit Matt Damon in der Hauptrolle. Trotz der beeindruckenden Bildsprache der beiden Adaptionen erreicht keine Verfilmung die Intensität der Beschreibung dieser Mordszene.

Alain Delon (links) and Maurice Ronet am Set von René Clements «Plein Soleil» (1960).

Alain Delon (links) and Maurice Ronet am Set von René Clements «Plein Soleil» (1960).

Keystone / Hulton Archive
In der Neuverfilmung aus dem Jahr 1999 mimt Matt Damon Mr. Ripley.

In der Neuverfilmung aus dem Jahr 1999 mimt Matt Damon Mr. Ripley.

Paramount / Courtesy Everett Collection

«Die Kante des Ruders», heisst es dort, «hinterliess einen tiefen Schnitt, der sich sofort mit Blut füllte. Dickie lag auf dem Bootsdeck, wo er sich wand und krümmte. Er stiess ein lautes protestierendes Stöhnen aus, dessen Lautstärke und Kraft Tom erschreckte. Dreimal schlug Tom ihm gegen den Hals, scharfkantige Schläge, als wäre das Ruder eine Axt und Dickies Hals ein Baumstamm. Das Boot schaukelte wild, Wasser spritzte über Toms Fuss, mit dem er sich am Schandeck abstützte.»

In der erschreckenden, beeindruckenden Szene liegt ein Schlüssel für die verführerische Wirkung, die Ripley auf die Leser ausübt. Patricia Highsmith war keine angeberische Stilistin. Die am 19. Januar 1921 in Texas geborene, grösstenteils in New York aufgewachsene Schriftstellerin blieb lieber beim Wesentlichen. Konzentriert und cool schildert sie insgesamt neun Morde durch Ripleys Hand, stets mit solch ökonomischer Detailversessenheit und sprachlicher Eleganz, dass man lesend ein unbequemes Glück darüber empfindet. Solch schillernde Affekte evoziert Highsmith immer wieder in ihrem 22 Romane und zahlreiche Erzählungen umfassenden Werk.

Intimität und Gewalt

Die Autorin, die als freischaffende Comic-Texterin begann und sich lebenslang ein tägliches Arbeitspensum von rund acht Seiten auferlegte, lancierte ihre Karriere als Romanautorin mit ihrem erfolgreichen Debüt «Zwei Fremde im Zug» (1950). Noch vor der gefeierten Verfilmung durch Alfred Hitchcock wurde die damals 29-Jährige bekannt und schuf sich im Krimi-Genre eine Nische, in der urgewöhnliche Menschen zu ungewöhnlichen Verbrechen neigen. Ihre Täter sind von der Polizei und von Schuldgefühlen verfolgt, und immer sind es die eigenen Abgründe, die weit gefährlicher werden als die Gesetzeshüter.

Highsmiths Abgründigkeit steht den Höllentiefen von Fjodor Dostojewski oder Joseph Conrad in nichts nach. Selbst ihre unbedeutenderen psychologischen Thriller erzeugen in der unbehaglichen Intimität von Täter und Opfer, von Jäger und Gejagtem eine einzigartige Wechselwirkung zwischen Paranoia und schierer Gewalt.

Doch nie wollte die seit 1963 in Europa lebende und perfekt Deutsch und Französisch sprechende Highsmith nur als Thriller-Autorin gesehen werden, und niemals sind ihre Romane Hintertreppenliteratur. Anders als in den eskapistischen Krimis ihrer Rivalin Agatha Christie liefern Highsmiths Plots keine besänftigende Auflösung. Nach dem Ende des Buchs bleibt der Stachel stecken. Viel näher ist sie ihrem Landsmann Raymond Chandler, in dessen Werk das Verbrechen systemisch wirkt und die Institutionen von Politik und Gesetz durchdringt. Chandler arbeitete übrigens auch am Drehbuch für Hitchcocks Verfilmung von «Zwei Fremde im Zug» mit.

Bereits vor Hitchcocks Verfilmung von «Zwei Fremde im Zug» (1951) schuf sich Patricia Highsmith im Krimigenre einen Namen.

Bereits vor Hitchcocks Verfilmung von «Zwei Fremde im Zug» (1951) schuf sich Patricia Highsmith im Krimigenre einen Namen.

Mary Evans Picture Library

Die Fremdheit zwischen den Menschen

Neben dem Auftakt zur Ripley-Serie und dem späten, wenig charakteristischen Thriller «Ediths Tagebuch» (1977) ist Highsmiths bester Roman jedoch ein Werk, das keinen Mord enthält und einen guten Ausgang hat. «Salz und sein Preis» (1952) war erst ihr zweites Buch und präsentiert sich dennoch als nahezu makelloses Glanzstück des Zusammenspiels von vermitteltem Gefühl und stilistischer Schärfe.

Der zunächst unter dem Pseudonym Claire Morgan erschienene Roman erzählt gradlinig und in einer an Edward Hopper gemahnenden Stimmung von der Liebe zwischen zwei Frauen im New York der 1940er Jahre: Therese und Carol. Das 2015 von Todd Haynes mit dem alternativen Romantitel «Carol» verfilmte Buch taucht die verpönte, wenn nicht verbotene Liebe der Heldinnen in eine melancholisch-märchenhafte Stimmung aus Heimlichkeit und Gefahr, und immer scheint es, als läge gerade darin die Intensität der Beziehung.

Obwohl die Schriftstellerin wenig von klärender Psychologisierung hielt und es vermied, die Beweggründe ihrer Charaktere zu erhellen, vermittelt eine Passage aus «Salz und sein Preis» Einblick nicht nur ins Empfinden der Figur, sondern in einen wesentlichen Zug von Highsmiths Schreiben. Therese beobachtet die Menschen in einem Kaufhaus und erkennt, «dass jeder von ihnen mit niemand anderem in Verbindung stand und von allen anderen abgeschieden existierte und dass die Bedeutung, die Botschaft, die Liebe oder was auch immer jedes Einzelnen keinen Ausdruck finden konnte».

Schon in diesem frühen Roman findet Patricia Highsmith – in den Worten von Paul Ingendaay, dem Mitherausgeber der schönen Diogenes-Werkausgabe, «eine lesbische junge Frau, hochbegabt, besessen vom Schreiben, belagert von Depressionen und umspült vom Alkohol» – ihr Lebensmotiv: die Fremdheit zwischen den Menschen. Diese Fremdheit wird ihre Figuren niemals davon abhalten, einander zu suchen, eine Nähe zu erhoffen, ob durch Liebe, durch Sex oder durch Mord.

Die Einzelgängerin

Highsmith selbst blieb eine Einzelgängerin, ihr Leben lang. Die Misanthropin, die mit Katzen mehr anfangen konnte als mit Menschen, lebte ab 1981 im Tessin und verstarb 1995 in Locarno. Ihr Vermögen vermachte sie der New Yorker Künstlerkolonie Yaddo, wo sie ihren Debütroman geschrieben hatte; ihr literarischer Nachlass ging ans Schweizer Literaturarchiv. Betreut wird er seitdem von ihrem deutschsprachigen Verlag Diogenes, und auf den Hundertsten der Autorin hin erschienen dort Erstveröffentlichungen von Highsmiths früher Kurzprosa: «Ladies. Frühe Stories».

Auch wenn die fünf Erzählungen keine Meisterwerke sind, markieren sie doch den Beginn einer Laufbahn, die Highsmith zu einer der bedeutendsten Autorinnen ihrer Generation und ihres Landes werden liess – ganz gleich, ob nun die Nation ihrer Geburt oder ihre späte Wahlheimat als «ihr Land» gelten soll.

Patricia Highsmith: Ladies. Frühe Stories. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Dirk van Gunstern und Pociao. Diogenes Verag, Zürich 2020. 320 S., Fr. 32.–.