Klaus Doldinger: Jazz brachte Deutschland eine neue Kultur und ein besseres Image

Der Saxofonist und Komponist Klaus Doldinger ist durch seine Stücke für den «Tatort» und den Film «Das Boot» berühmt geworden. Seine Karriere, die er nun in einer Autobiografie schildert, war geprägt durch Erfahrungen im Deutschland der Nachkriegszeit.

Ueli Bernays
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Klaus Doldinger hat die deutsche Musikszene in den letzten siebzig Jahren mitgeprägt.

Klaus Doldinger hat die deutsche Musikszene in den letzten siebzig Jahren mitgeprägt.

Peter Hönnemann

Als die Waffen endlich schwiegen, kamen die Kinder aus ihren Verstecken und tummelten sich in den Trümmerfeldern wie auf einem grossen Spielplatz. Und manchmal hielten sie plötzlich inne, um den fremden Soldaten nachzuschauen; oder weil aus einem Keller eine neue Musik drang, laut und verheissungsvoll: Jazz.

In seiner Autobiografie «Made in Germany» schildert der Saxofonist und Komponist Klaus Doldinger eindrücklich seine Erfahrungen als Kind in den ersten Monaten nach Kriegsende. 1936 in Berlin geboren, hatte er seine erste Begegnung mit Jazz ausgerechnet im bayrischen Provinzkaff Schrobenhausen, wo die Familie 1945 vorübergehend wohnte. Zufällig geriet er an die Jam-Session schwarzer GIs im Dorfgasthof. «Hau ab, du Nazilümmel», schrien sie ihm belustigt zu. Aber um den Knaben war es bereits geschehen, den Jazz brachte er nicht mehr aus dem Kopf.

Als 11-Jähriger besuchte Doldinger in Düsseldorf, wo er nun aufwuchs, klassischen Klavierunterricht, bald versuchte er sich überdies auch auf einer Klarinette. Dabei galt sein Interesse fortan vor allem dem Jazz. Bei einem Nachbarn konnte er sich rare Jazz-Schallplatten zu Gemüte führen; und abends am Radio hörte er amerikanische und britische Besatzer-Sender, was er vor den Eltern geheim hielt. Die amerikanische Musik galt als dekadentes «Tingeltangel», gegen das die deutsche Kultur verteidigt werden sollte.

Familie Doldinger 1950 am Tag von Klaus’ (Zweiter von links) Konfirmation.

Familie Doldinger 1950 am Tag von Klaus’ (Zweiter von links) Konfirmation.

Archiv Doldinger

Generationenkonflikt

Doldingers Eltern waren keine fanatischen Nazis gewesen, aber doch Opportunisten. Der Vater war zeitweise gar NSDAP-Mitglied. In Zeiten des Wiederaufbaus indes konnte nicht auf die technischen Kenntnisse des Fernmeldeingenieurs verzichtet werden. So war Vater Doldinger oft unterwegs. Zu Hause aber bekämpfte er die musikalischen Leidenschaften des Sohnes geradezu verbittert. Um ihm den Jazz auszutreiben, setzte er auf preussische Strenge und auf einen schmerzhaften Riemen.

Vergeblich. Klaus Doldinger, der sich den Swing und den Blues bald zu eigen gemacht hatte, frequentierte schon als Teenager die ersten Jazzklubs. Diese nahmen sich wie Akademien oder Kirchen eines neuen Glaubens aus. An Tanz und Unterhaltung war nicht zu denken. In der jungen Szene herrschten Ernst und Purismus. Die Konzerte wurden durch Vorträge ergänzt sowie durch Debatten über die richtige und die falsche Ausrichtung des Jazz.

Die Szene befand sich tatsächlich in einem ästhetischen Dilemma. Man versuchte die Epoche des Dixieland nachzuholen. Aber in den USA hatten rebellische Musiker um den Saxofonisten Charlie Parker bereits das Zeitalter des Bebop eingeläutet. So standen sich in Deutschland die Modern-Jazzer und die Traditionalisten feindselig gegenüber. Klaus Doldinger indessen machte sich wenig aus den Streitereien. Wie ein trockener Schwamm saugte er alles in sich auf.

The Feetwarmers 1960 in New York vor dem UN-Gebäude.

The Feetwarmers 1960 in New York vor dem UN-Gebäude.

Jans Jörg Müller

Seine erste Band, The Feetwarmers, war allerdings dem guten alten Dixieland verpflichtet. Mit ihr konnte er in den einschlägigen Klubs der Stadt auftreten, wo er viele Kollegen kennenlernte: etwa den stilbildenden Posaunisten Albert Mangelsdorff aus Frankfurt. Die Geografie war musikalisch durchaus von Bedeutung: Im Unterschied zum von den Briten besetzten Düsseldorf gehörte Frankfurt nämlich zum Hoheitsgebiet der Amerikaner. Die Frankfurter Szene war deshalb besser informiert über die aktuellen Jazz-Trends und insgesamt aufgeschlossener.

In den Klubs lernte Klaus Doldinger aber auch viele Intellektuelle und Kulturschaffende kennen. Das «Cisko» zum Beispiel wurde nicht nur von Gert Fröbe und Gustaf Gründgens besucht, sondern auch von Günter Grass. Der Schriftsteller nahm das Lokal zum Vorbild für den «Zwiebelkeller», den er im Roman «Die Blechtrommel» beschreibt.

Jazz erwies sich als Kitt einer neuen Kulturszene, die gegen das alte deutsche Bildungsbürgertum opponierte. Doldinger erklärt es so: «Die Musik war einfach das perfekte Gegengift gegen diese seltsame Mischung aus Geschichtsvergessenheit, Verklemmtheit und Betriebsamkeit, die Enge und Strenge der Fünfzigerjahre in Deutschland.»

Klaus Doldinger mit Perücke in der Rolle des Entertainers Paul Nero im Star Club Hamburg, 1964.

Klaus Doldinger mit Perücke in der Rolle des Entertainers Paul Nero im Star Club Hamburg, 1964.

Siggi Loch

Doldingers Kapitel zur Nachkriegszeit lesen sich wie ein aufschlussreiches historisches Zeugnis, das über seine persönliche Biografie hinausweist. Aber bald wird sich zeigen, dass die neue Kulturszene sich auch als Treibhaus seiner eigenen Entfaltung bewährte. Sein weiter Werdegang spiegelt sich dabei schon in den Namen neuer Bands: Im Klaus Doldinger Quartett spielt er Modern Jazz. Mit Motherhood huldigt er später der Hymnik des Free Jazz, bevor er mit Passport in den 1970er Jahren eine eigene Spielart von Fusion-Jazz definiert.

Unterdessen hatte sich die Musik weiterentwickelt, im Zeichen von Beat und Rock war mit Modern Jazz kaum mehr Geld zu verdienen. Nun aber zahlte es sich aus, dass Klaus Doldinger Musik und Tontechnik studiert hatte. Jedem Purismus fremd, konnte er künftig verschiedenste Felder beackern. Unter dem Pseudonym Paul Nero setzte er sich als Pop-Entertainer in Szene. Immer öfter profilierte er sich auch als Werbe-, Theater- und Filmmusiker. So schrieb er 1970 die Titelmelodie zur «Tatort»-Krimiserie; in den kommenden Jahren vertonte er auch mehrere «Tatort»-Folgen. Zu seinem filmischen Hauptwerk aber wurde 1981 der Score zu Wolfgang Petersens Blockbuster «Das Boot».

Das Bundesverdienstkreuz

Doldinger betont allerdings, dass ihm in seinem künstlerischen Leben nichts wichtiger gewesen sei als das Spielen vor Publikum. Bereits in den fünfziger und sechziger Jahren hatten ihn Konzerttourneen durch mehrere Kontinente geführt. Das war vor allem dem Goethe-Institut zu verdanken, das der Welt ein neues, freundliches Deutschlandbild präsentieren wollte. In den siebziger und achtziger Jahren aber avancierte Klaus Doldinger mit Passport (wo zunächst sein Freund Udo Lindenberg am Schlagzeug sass) zum internationalen Star.

Der deutsche Musiker begeisterte das europäische Publikum ebenso wie das amerikanische. Auf den Tourneen durch die USA konnte er tatsächlich seine grössten Triumphe feiern. Und doch nahm er hier mit einer gewissen Wehmut zur Kenntnis, dass seine afroamerikanischen Musikerfreunde noch immer rassistische Diskriminierung zu erdulden hatten; und ganz allgemein schien der Beruf des Musikers in Amerika von geringem Ansehen.

Da hatte es Klaus Doldinger in Deutschland besser. Nachdem er hier zahlreiche Musikpreise und Awards eingeheimst hatte, wurde er schliesslich auch zweimal mit einem Bundesverdienstkreuz geehrt (1978, 2002). Zum Stolz seiner Eltern? Im Gegenteil: Bis zu seinem Tod blieb der Vater bitter und eifersüchtig auf den Sohn, der es mit «Tingeltangel» weiter gebracht hatte als er selbst als seriöser deutscher Fernmeldebeamter.

Klaus Doldinger: Made in Germany. Mein Leben für die Musik. Piper-Verlag, München 2022. 317 S., Fr. 39.90.

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