Möglichst beiläufig aussehen

Franziska König schreibt und dichtet in Sprachkörper über Identitäten und Beziehungen

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einsamkeit zu zweit ist erlebbar. Auch Konturen einer solchen Beziehung zeichnet Franziska König nach, in ihrem Debütband, in dem Gedichte und kurze Prosatexte zusammengefügt sind. Aufwühlend, nämlich „Wirbel“ ist das Gedicht genannt, in dem ein „flimmerndes Licht“ sichtbar wird, das die „Erinnerung weit weg“ erscheinen lässt, während der Körper des Partners ganz nah ist. Der poetisch reflektierte Rausch der Leidenschaft mutet an wie ein Spiel mit Identitäten: „Gib mir einen neuen Namen / Die du suchst, kann ich werden“ – und lesend fragen wir uns, ob die Dichterin lustvoll ein Reich der sprachlich geformten Fantasie zeigen und die Vision einer neuen Identität kreieren möchte. Doch birgt dieses Verlangen des Augenblicks wirklich eine Verheißung? Ernüchternd lautet der nächste Vers bloß: „Gesund ist das nicht“. Sich hinzugeben heißt nicht, so mag die eine oder der andere denken, sich von den Wünschen des anderen neu formen zu lassen oder der fremden Form zu entsprechen. Begonnen hat das Gedicht: „Erwache in einem fremden Bett“ – als dieselbe Person, mutmaßlich, die doch letztlich weiß, dass es ungesund und auch unbefriedigend sein kann, zu jemand anderem zu werden in fremden Schlafzimmern.

Franziska König schreibt lyrisch klingende Prosastücke, über eine winterkalte Welt, in der inmitten von Naturphänomenen Beziehungsgeschichten aufscheinen oder zumindest illusionslose Andeutungen mit sich führen: „Es wird Momente der Nähe geben, doch du weißt, wohin du sie zu lenken kannst.“ Nichts wird, nichts ist dem Zufall oder auch dem freien Spiel derer, die paarweise leben, überlassen. Noch einmal kehrt das Sinnieren über Identität wieder: „Ich bin ein physikalisches Gesetz, aber du folgst ihm nicht. Die Worte brodeln in mir und schäumen über.“ Die Lyrikerin spielt nicht mit der Sprache, erfindet auch nicht die brodelnden, überschäumenden Wörter, doch sie analysiert und seziert die Leidenschaft, die dem anderen gilt, der aber partout nicht versteht, was sich im Innern des lyrischen Ichs zuträgt: „Von nun an wirst du mich verwundet sehen.“ Dieses schwierige Miteinander klingt wieder in dem Gedicht „Ohrmuschel“:

An niemanden denken
Nur der Wind flüstert
Kälte in meine Ohrmuschel
Nistet Worte
Ich verstehe sie nicht
Sorgen leiden Wachstumsschmerzen
Straßenbahnen und Hochhäuser
Ein leuchtender Körper
Komme ich ihnen nahe, vereinzeln sie
Vielleicht berichte ich dir davon, wenn du fragst,
Wieso wir uns nicht mehr berühren

Facetten der Einsamkeit zu zweit werden erkennbar – und von dem Wunsch, davon zu erzählen, aber nicht ohne, dass eine Frage gestellt wird. Das ahnungsvolle Wort „vielleicht“ bleibt, aber der andere, der nicht sieht und erkennt, wovon das lyrische Ich bewegt ist, wird die Frage „vielleicht“ nicht stellen. Von welchen Berührungen mag hier die Rede sein? Alle Leserinnen und Leser wissen, dass körperliche Berührungen möglich sind, ohne dass die Beteiligten inwendig berührt sind. Menschen sind einander nahe und bleiben einander fremd, entfremdet, vereinzelt – wie die „leuchtenden Körper“ draußen in der Welt. Die Dichterin berichtet von „Hektik und auch Besessenheit“, von der ersehnten „Wärme“, die auch durch „Berührung“ entsteht, auch durch die körperliche Nähe zu dem Menschen, der den Partner oder die Partnerin nicht vollkommen versteht – doch genügt das? Das lyrische Ich sinniert, versucht, den Augenblick wenn nicht zu genießen, so doch zumindest graduell dankbar dafür zu sein:

Nur ein Vogel singt manchmal
Vor dem Fenster meiner Küche
Ich singe mit
Ich frage ihn gar nicht mehr,
Ob aus meiner Gleichgültigkeit
Glück werden kann

Die Frage stellt sich nicht mehr, aber zu singen, mitzusingen, ist erlaubt und befreit – zumindest für Momente der Lebensfreude, die die „Gleichgültigkeit“ nicht zum „Glück“ werden lassen, indessen doch zumindest für kurze Zeit vertreiben. Das Innenleben wird markant beschrieben: „In meinen. Gedanken stehe ich wie in einem strömenden Verkehr, der es sich nicht anmerken lässt, wohin er führt.“ Prosaisch-poetisch ausgedrückt befindet sich das lyrische Ich in einem Stadium der Orientierungslosigkeit, kann dies aber noch kaschieren, freilich eher vor anderen als vor sich selbst – „bin in die zerrissene Jeans gestiegen, um möglichst beiläufig auszusehen“: „Dabei hatte ich strauchelnd drei verschiedene Kleider anprobiert. Dich zu lieben, das ist eine seismographische Arbeit.“ Über Liebe also ist poetisch und prosaisch die Rede, bei allem Bemühen um das passende Erscheinungsbild, Kleider an- und wieder auszuziehen – ist die „zerrissene Jeans“ der angemessene Ausdruck für den Gemütszustand? Ja, so könnte es sein. Leserinnen und Leser können zurückblättern ganz an den Anfang des schmalen Bandes und noch einmal über die Verse „Gib mir einen neuen Namen / Die du suchst, kann ich werden“ nachdenken. Die Dichterin entschied sich doch für die „zerrissene Jeans“, um „möglichst beiläufig auszusehen“ und dabei vielleicht nicht vollkommen glücklich, aber ganz sicher auch nicht unglücklich zu sein. So manche Leserin, so mancher Leser mag versonnen und auch ein wenig schwermütig lächeln sowie zustimmend nicken, denn es könnte eine kluge Entscheidung sein, nicht nach einem neuen Namen zu verlangen oder gar einer neuen Identität zu streben, sondern weiterhin mit dem eigenen Namen und den „zerrissenen Jeans“ durchs Leben zu gehen. Franziska Königs lyrisch-literarisches Debüt ist klug und vielversprechend.

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Franziska König: Sprachkörper. Gedichte und Miniaturen.
re:sonar Verlag, Hannover 2022.
52 Seiten , 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783949048289

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