Ratten an der Isar

In Bernhard Jaumanns Kriminalroman „Banksy und der blinde Fleck“ löst die Münchener Kunstdetektei von Schleewitz ihren dritten Fall

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kunstdetektei von Schleewitz bräuchte dringend einen neuen Auftrag. Das Geld ist knapp geworden. So knapp, dass Rupert von Schleewitz, Gründer und Chef des kleinen Unternehmens, inzwischen sogar die Steuererklärung selbst machen muss. Da tauchen in München plötzlich Ratten auf. Graffitis im Stile Banksys, für den die Ratte ja ein Hauptmotiv darstellt. Der berühmte Streetart-Künstler an der Isar? Echte Banksys in Bayerns Landeshauptstadt? Es ist schwer zu glauben. Aber als sie nach Bogenhausen gerufen werden und dort an der Fensterfront einer Villa die Kopie des 2018 bei Sotheby’s halb geschredderten Girl with Balloon vorfinden, beginnen von Schlewitz, Klara Ivanovic und Max Müller, sich mit dem Fall zu beschäftigen.  

Bernhard Jaumann (Jahrgang 1957) lässt in Banksy und der blinde Fleck seine Kunstdetektei von Schleewitz zum dritten Mal ermitteln. Nachdem in den beiden vorausgegangenen Bänden – Der Turm der blauen Pferde (2019) und Caravaggios Schatten (2021) – Gemälde von Franz Marc und dem berühmten italienischen Maler des Frühbarocks im Mittelpunkt standen und die drei Angehörigen des Unternehmens auf Trab hielten, ist es diesmal Banksy, der das Trio umtreibt. Im Auftrag der Bewohnerin jener Villa, an der das berühmt-berüchtigte Graffiti mit dem einer Mädchenhand entgleitenden herzförmigen roten Luftballon prangt – der Künstler hatte es nach der Aufsehen erregenden Sothebys-Aktion in Love is in the Bin umbenannt –, streckt man seine Fühler aus.

Was die Echtheit des Werkes betrifft, machen sich die Kunstkenner freilich nicht die geringsten Illusionen. Denn warum sollte Banksy wohl sich selbst kopieren – und das ausgerechnet noch in München? Aber zumindest Max Müller ist zunehmend überzeugt davon, dass man im Zuge der Nachforschungen hinter das Geheimnis des großen Unbekannten der Kunstwelt kommen könnte. Und wäre das nicht eine welterschütternde Sensation und damit aller Mühen wert?

Doch zunächst sehen sich von Schleewitz und die Seinen einem anderen Phänomen gegenüber – nämlich dem eines angesichts der womöglich vom Meister selbst stammenden Werke blitzschnell anspringenden und schon bald in seiner Gier kein Maß mehr kennenden Kunstmarktes. Als ein alter Bekannter der Detektive, Kunsthändler Toni von der Au, dem Inhaber eines Döner-Ladens, an dessen Tür sich eine Kopie des Flower Thrower, jenes mit Blumen statt Molotowcocktails werfenden vermummten Mannes, findet, Tür samt Kunstwerk abschwatzt, ist das der Startschuss zu einer wilden Hatz auf alles, was auch nur im Entferntesten nach Banksy aussieht.

Und der Hype wird noch schlimmer in dem Moment, da ein namhaftes Münchener Auktionshaus das sperrige Artefakt für 700.000 Euro unter den Hammer bringt. Von da an ist kein Halten mehr, auch wenn der Künstler selbst über seine Agentur „Pest Control“ inzwischen die Urheberschaft an den Münchner Stencils leugnet. Doch das Dementi stört die auf Sensationen erpichte Presse wenig. Immer weiter wird an der Geschichte gebastelt, dass Banksy Großbritannien den Rücken gekehrt und sich just in München neu erfunden habe, um der Kommerzialisierungsfalle, in die er mit seinen Werken allgemach zu geraten drohte, zu entgehen.

Dass es sich bei der zuletzt genannten Theorie um eine äußerst geschickt in die Öffentlichkeit geschmugggelte Hypothese von Max Müller handelt, will weder Rupert von Schleewitz noch Klara Ivanovic gefallen. Denn die beiden sind inzwischen zu ganz anderen Erkenntnissen gelangt. Für sie wird zunehmend die Tatsache interessant, dass einige der immer zahlreicher erscheinenden „Banksys“ an Stellen zu finden sind, in deren unmittelbarer Nähe vor Monaten menschliche Tragödien mit Toten und Verletzten stattgefunden haben. Und als Klaras Vater, selbst einst Künstler mit anarchistischen Neigungen, inzwischen krank und pflegebedürftig, auf den ersten Blick sieht, dass die Graffiti zwei verschiedene Handschriften tragen, kommt langsam Klarheit in die Geschichte.      

Doch wenn die Ratten-Graffiti darauf hindeuten, dass ihr Erzeuger mit Hilfe der Kunst bestimmte Katastrophen, an denen er auf die eine oder andere Art beteiligt war, verarbeiten will – welchen Zweck haben dann jene Banksy-Imitate, um die man sich gerade auf dem Kunstmarkt prügelt? Um das herauszubekommen, müssen Jaumanns drei Detektive noch ein paar Nachtschichten einlegen, bei denen ihnen jugendliche Sprayer aus der einheimischen Szene rund um die junge Künstlerinnen und Künstler unterstützende Münchener „Färberei“ mehr oder weniger gern behilflich sind. Und ein wenig gefährlich wird es schließlich auch, als von Schleewitz in einer dunklen Nacht am Münchener Haus der Kunst beobachtet, wie an die Fassade des  historischen Gebäudes gerade ein weiterer „Banksy“ gesprayt werden soll.  

Auch mit Banksy und der blinde Fleck ist Bernhard Jaumann wieder ein unterhaltsamer, gut geschriebener und Realität und Fantasie geschickt miteinander in Verbindung bringender Roman gelungen. Wer mag, kann sogar noch etwas lernen aus der Geschichte um die Ratten an der Isar: über Kunst und Kommerz, Original und Kopie, menschliche Leichtgläubigkeit und Profitgier sowie nicht zuletzt über den „blinden Fleck“, der sich immer dort findet, wo Menschen über Elend und Tod einfach hinwegsehen.

Und was das Beste ist: Sowohl die drei im Mittelpunkt stehenden Figuren als auch das Metier, welches sie vertreten, haben ihr Potential noch lange nicht erschöpft. Bei all den Intrigen, Skandalen und Geheimnissen, auf die man in der Kunstwelt stoßen kann, muss es also nicht bei einer Trilogie bleiben. Vielleicht ist es gar die in den letzten Monaten aufgekommene Marotte, aus Sorge um unseren Planeten berühmte Kunstwerke mit Nahrungsmitteln zu bewerfen oder sich an ihnen festzukleben, die Jaumann beim nächsten Fall für das Team seiner kleinen Detektei inspiriert? Man darf auf jeden Fall gespannt sein und schon einmal ein bisschen Vorfreude entwickeln.   

Titelbild

Bernhard Jaumann: Banksy und der blinde Fleck. Kriminalroman.
Galiani Verlag, Berlin 2023.
320 Seiten , 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783869712734

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch