Unbekannte fliegende Objekte

Das italienische Autorenkollektiv Wu Ming über die wilden späten 1970er Jahre: „UFO 1978“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Besonders in Krisenzeiten wird viel Unbekanntes gesehen, das für alles verantwortlich gemacht wird: Weise von Zion, Berliner Politblase, Deep State – oder eben Unbekannte fliegende Objekte, vulgo UFOs genannt. UFOs haben dabei in gewisser Weise, scheint’s, die Marienerscheinungen, die das Jahrhundert zuvor geprägt haben, als übersinnliche Erscheinung abgelöst. Das mag damit zusammenhängen, dass immer, wenn’s auf Erden besonders schwierig ist, der Blick nach oben gerichtet wird. Mit dem Effekt, dass dann auch irgendetwas gesichtet wird, was vorher keinem aufgefallen sein mag. Früher eben die Mutter Gottes, heute Untertassen. Wir sind halt alle nur Menschen, die mit dem, was um uns herum vorgeht, nur mir himmlischem Beistand fertig werden. Wobei weder in dem einen noch in dem anderen Fall wirklich klar ist, was man von den Erscheinungen erwarten kann: Hilfe oder Unterwerfung?

Der Roman des italienischen Autorenkollektivs Wu Ming nimmt sich die wilden späten 1970er Jahre vor, in denen die militanten Ausläufer der 68er ihr Unwesen trieben und die vermeintlich unvermeidbare proletarische Weltrevolution voranzutreiben versuchten. Im Italienischen waren es die Brigate Rosse, die Roten Brigaden, die es auf den Kapitalismus abgesehen hatten und dafür – ein wesentlicher Unterschied zu heute – auf deren Repräsentanten losgingen; was diesen Roman angeht: auf den Vorsitzenden der Democrazia Cristiana und mehrmaligen Ministerpräsidenten Italiens, Aldo Moro, der im März 1978 entführt und im Mai darauf ermordet aufgefunden wurde.

Der Fall Moro ist bis heute eines der skandalumwittertsten politischen Ereignisse des modernen Italiens, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass er sich für eine historische Verständigung zwischen der sich modernisierenden, eurokommunistischen PCI und der Christdemokratie eingesetzt hatte. Gerade der Umstand, dass die jahrzehntelange Frontstellung zwischen Konservativen und Kommunisten sich aufzulösen drohte, setzte die linksextreme Brigate Rosse unter Handlungsdruck, die – ähnlich wie Baader-Meinhof in Deutschland – die Widersprüche des Systems ins Extrem voranzutreiben suchten, um es reif für die Revolution zu machen, also alles ganz anders.

Womit man schnell bei den diversen Verschwörungstheorien wäre – oder eben bei der Sichtung von UFOs. Und die Frage ist nun, was die wahren UFOs sind. Deren Häufung habe nämlich in den späten 1970er Jahren in Italien massiv zugenommen, was Wu Ming über einen intensiven und detaillierten Einstieg in die UFO-Szene Italiens erzählen. Im Zentrum des Romans steht der Autor Martin Zanka, geborener Gianmaria Zanchini, der mit einer Reihe von populärwissenschaftlichen Büchern zu unerhörten Erscheinungen in Italien populär geworden ist. Zanka sitzt an einem neuen Werk. Sein Sohn, ein ehemaliger Junkie, hat sich in eine Kommune gerettet, die just in der Nähe jenes Berges angesiedelt ist, der durch besonders häufige Sichtungen aufgefallen ist. Währenddessen macht eine Begegnung der Dritten Art die Runde – Spielbergs Film hat gerade erst seine Wirkung in einschlägigen Kreisen begonnen. Ein Mann will einer Horde unbekannter, merkwürdiger Leute begegnet, von ihnen bewusstlos geschlagen und Stunden später an ganz anderer Stelle abgelegt worden sein.

Zanka interviewt den Mann im Auftrag eines Magazins, besucht im selben Zuge seinen Sohn, und gerät dabei an die Geschichte eines jungen Paares, das im Jahr vorher spurlos verschwunden ist. Geheimnisvoll, spurlos und nie aufgeklärt. Was als Recherche zu einer weiteren Begegnung mit Außerirdischen beginnt, entwickelt sich nach und nach zu einem Politskandal, in dem die Verbindungen zwischen Militär, Politik und Neofaschisten eine zentrale Rolle spielt. Und die Begegnungen mit Außerirdischen wie das Verschwinden der jungen Leute plausible, wenngleich nicht minder haarsträubende Erklärungen finden. Keine Frage, Wu Ming machen erkennbar, dass sie hier eine Geschichte erzählen, in der die Entführung und Ermordung Aldo Moros wohl das unbestrittene Zentrum ist, um das UFOs, Außerirdische, Neofaschisten, Kommunen, Junkies und alles, was sonst noch die späten 1970er Jahre ausmachten, kreisen.

Jene späten 1970er Jahre sind aus heutiger Sicht so fern und unwirklich, dass UFOs dagegen fast schon plausibel wirken. Die Kunst, die Wu Ming so fabelhaft beherrschen, ist eben nicht nur, eine durchgeknallte Geschichte zu erzählen (was sie schon mehrfach auch in der deutschen Übersetzung bewiesen haben), sondern auch auf den Kern einer Sache oder einer Zeit loszugehen, indem sie alles darum herum durchschütteln, bis etwas Vernünftiges unten herausfällt.

Titelbild

Wu Ming: Ufo 78.
Aus dem Italienischen von Klaus-Peter Arnold.
Assoziation A, Berlin 2023.
448 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783862415007

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