Gieriger Zar endet im Kellerloch

Isaak Pokrow erzählt in neun Märchen vom Teufel Pontykin

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zunächst sei das Internet-Porträt des Autors zitiert:

Als Kind der 80er Jahre hat Isaak Pokrow (1983 – 2024) viele Umbrüche in der östlichsten der Metropolen Europas erlebt und wurde Zeuge von extremen Veränderungen in unvorstellbarem Tempo. Aus den Beobachtungen dieses Lebens und der Erkenntnis, dass sich alles ändern kann, außer der Bürokratie, der Korruption und dem Eigennutz, speisen sich seine tragikomischen, bis in das Groteske reichenden Erzählungen.

Diese Formulierungen lassen nur einen Schluss zu: Die Identität des Autors soll im Dunkel bleiben. Genau dies wird von der in Dresden beheimateten Edition Poschlost auf Nachfrage bestätigt: Die Bücher von Isaak Pokrow sind bisher in Russland nicht erschienen; der Autorname ist ein schützendes Pseudonym.

Im ersten Märchen bleibt die Frage offen, welche Sünde, die „schlimmer war als die Ursünde“, eine Seele begangen hat. An die Grenze des Erträglichen geht es, wenn ein Teufel als feines Filetstück verspeist wird, sich in der Latrine wiederfindet und stinkend die Schankstube betritt. Anderswo beeindruckt die katzengleiche Akrobatik des Teufels ebenso wie sein widersinniger Ausruf, der ihn vertragsgemäß begleitende Junge solle sich zum Teufel scheren.

Einmal wird behauptet, die Liebe sei umso schwerer zu finden, je größer das Land ist. Schadenfreude gilt dem Teufel, der eifrig an einem Liebesbrief dunkler Gestalten mitformuliert, mit dem er selbst hereingelegt wird. Ein andermal hat Pontykin die Papiere von Verstorbenen vertauscht mit der grotesken Pointe, dass jemand nicht aus seinem Grab antwortet, wenn man nach ihm ruft.

Dann erhebt sich ein sensibler Dichter nach sieben Nächten aus seinem Grab, weil ihm die Stimme einer Toten gefällt. Man freut sich am wortlosen Einverständnis der beiden und darüber, dass die Sehnsucht der Dame wenigstens im Tod gestillt wird. Dies währt freilich nur eine Nacht, weil der Dichter danach auf einen anderen Friedhof gebracht wird.

Weit über Einzelschicksale hinaus geht das realitätsnahe Märchen Die gestohlene Armee. Da gibt es angsteinflößende „Konsultanten“ – geschickt manipulierende Profiteure, die ganze Staaten zugrunde richten. Pontykin erkennt im Wirtshaus ein solches Wesen an seiner Unscheinbarkeit. Dieser „Geheime Hofrat“ erzählt von einem gierigen Zaren, dessen Korruptheit nicht bestraft wird, wobei am besten die Armee gedeiht. Minister und Generäle bauen sich Schlösser an den schönsten Orten der Welt, doch der Zar findet das Ende, das man seinem realen Ebenbild wünscht: er wird von den Soldaten des Feindes in ein Kellerloch geworfen.

Ein Teufel wie Pontykin taucht erstmals im Märchen von der durstigen Erde auf, dem letzten Kapitel der schaurig-komischen Novelle „Die ersten zehn Tage des Dreitagekrieges“. Dieses Buch ist eine gnadenlose Satire über einen dümmlich-verbrecherischen Überfall Russlands auf die Ukraine und, wie vom Autor im Jahre 2022 festgestellt, „voller absurder Klischees, also voller Wahrheit“. Ein Teufel verspricht einem Land eine wunderbare Zukunft, wenn ihm alle begrabenen Toten gehörten. Man sagt ihm nur die Toten zu, „deren Blut die blanke Erde berührte“. Tabu soll sein, wer im Bett stirbt. Der listige Teufel ist einverstanden und sorgt für Kriege, in denen überreichlich Blut auf die Erde fließt – auch nach seinem Tod, weil die Menschen nicht von dem Fluch loskommen.

Das dicke Ende, letztes Märchen der Neuerscheinung, nimmt das Thema auf. Korruption durch nimmersatte Egoisten beherrscht die Welt, Kriege brechen aus, und der Teufel wird so fett, dass er daran stirbt. Doch die Menschen führen weiter Kriege und schaffen Unrecht und Elend, ohne dazu einen Teufel zu brauchen.

Als eindringliche Mahnung, ein solches „dicke[s] Ende“ zu vermeiden, und als Warnung vor teuflischen Versuchungen ist dieses von Rico Kronenberg aus dem Russischen übersetzte, mit passend düsteren Linolschnitten von Maximilian Koch versehene Buch ebenso wertvoll wie als literarisches Zeugnis tapferen und phantasievollen literarischen Widertands gegen gierige Zaren.

Titelbild

Isaak Pokrow: Aus dem legendären Leben des lausigen Teufels Pontykin.
Edition Poschlost, Dresden 2023.
96 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783758452918

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