Bericht aus der „Totenstation“

Thomas Meyer-Falk erzählt aus der Sicherungsverwahrung und über seine insgesamt 27-jährige Haftzeit

Von Michael EschmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Eschmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Meyer-Falk (geb. 1971) wurde nach einem missglückten Banküberfall mit 14-stündiger Geiselnahme im Oktober 1996 verhaftet und verurteilt. Mit dem erbeuteten Geld sollten legale und illegale linke Projekte unterstützt werden. Zunächst folgten 11 Jahre strenge Isolationshaft, wovon er zwei Jahre in Stuttgart Stammheim absaß. Im Jahr 2007 kam er in den „Normalvollzug“. In den Jahren 2000 und 2004 erfolgten weitere Verurteilungen wegen Nötigung, Beleidigungen und Bedrohungen gegen Richter, Staatsanwälte, Vollzugsjuristen und Politiker. Dadurch betrug die Gesamtstrafe inzwischen 16 Jahre und 9 Monate mit anschließender Sicherungsverwahrung. Am 29. August 2023 wurde er nach 27-jähriger Haft aus der JVA Freiburg/Südbaden entlassen.

Die hier vorliegenden „Briefe“ sind streng genommen keine wirklichen Briefe (hierfür fehlen die typischen emotionalen und individuellen Textpassagen, die gerade Briefe auszeichnen), sondern eher beeindruckende Berichte aus einer langjährigen Haftzeit. Sie wurden jahrelang zunächst in der Berliner Literaturzeitung DreckSackLesbare Zeitschrift für Literatur, herausgegeben von Florian Günther, als vierteljährliche Kolumne veröffentlicht. Der Herausgeber hatte sich nun entschlossen, diese „Briefe“ erneut in Buchform zu präsentieren, zum einen wohl aus dem Grund, weil viele Ausgaben der Zeitschrift DreckSack inzwischen vergriffen sind, und zum anderen wohl, um ein ganz neues, jüngeres Lesepublikum auf die Problematik des Strafvollzugs mit dem umstrittenen Thema Sicherungsverwahrung aufmerksam zu machen. Florian Günther erkannte schnell, welch schriftstellerisches Talent Meyer-Falk besitzt, aber auch, welch unbeugsamen Geist er trotz langer Haftzeit beibehält, um immer wieder erneut auf Missstände der Haft hinzuweisen. Ferner, um auch Mitgefangene, die kaum lesen und schreiben können, dadurch zu unterstützen, dass er die Rolle des „Knastschreibers“ übernimmt und Hunderte von Briefen an Behörden und Institutionen schreibt.

Wie problematisch das Thema „Sicherungsverwahrung“ ist, wird schon ganz am Anfang des Buches deutlich:

Sicherungsverwahrung bedeutet, der/die Betroffene sitzt erst die Haftstrafe ab, um dann danach weiter so lange eingesperrt zu bleiben, bis Gerichte und Gutachter davon überzeugt sind, daß von dem bzw. der Inhaftierten keine Gefahr mehr ausgeht. Wurde Anfang der 90er noch über eine Abschaffung der SV nachgedacht, so wird sie seit etwa 1998 wieder häufig verhängt – andre Staaten kennen die Todesstrafe, Deutschland das Gesetz von 1933.

Sicherungsverwahrung, kurz nur SV genannt, beschäftigt immer wieder: Politiker, Presse, Bürgerinitiativen und einen großen Teil der Bevölkerung, die entweder für die Abschaffung oder Beibehaltung ist. Aber auch vor internationalen Gerichten macht das Thema nicht Halt.

Seit 2009 liefern sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und das Bundesverfassungsgericht einen fast bizarr anmutenden Streit um die Frage, ob es sich bei der SV rechtlich um eine Strafe handelt (der Gerichtshof in Straßburg bejaht dies) oder gerade nicht um eine solche, wie es das Bundesverfassungsgericht meint. Einig sind sie sich jedoch zumindest in der Beurteilung der Haftbedingungen der Verwahrten. Die zur Zeit etwa 500 Männer und drei Frauen in SV, so die beiden Gerichte, würden unmenschlich verwahrt, bar jeder Hoffnung und Perspektive, jemals wieder das Licht der Freiheit zu erblicken. Nicht umsonst werden die Abteilungen für die Verwahrten im Gefängnisjargon ‚Totenstationen‘ genannt, wo die Betroffenen lethargisch auf das Morgen warten und oftmals nur noch auf den Tod.

Meyer-Falk hat einen Bericht ohne Larmoyanz geschrieben, der sich stark von ähnlichen Berichten dadurch unterscheidet, dass er zunächst das eigene Schicksal eher bescheiden zurückstellt und die anderen Inhaftierten mit deren Biografien in den Vordergrund rückt. Hierzu heißt es im Vorwort: „Die unterschiedlichen Schicksale der von Meyer-Falk erwähnten Mitgefangenen, fesseln und bewegen, gerade weil es hier nicht um die Rechtfertigung von Verbrechen geht, sondern um das schlichte Überleben hinter Gittern.“

In der bürgerlichen Presse wird SV je nach politischer Sichtweise – bis heute – immer wieder neu, aber auch immer stark polarisierend und polemisierend diskutiert. So sehen manche die Sicherungsverwahrung als einen „Luxusvollzug“, weil er Inhaftierten in bestimmten Bereichen mehr Freiheitsrechte als im üblichen Strafvollzug gewährt. Andere wiederum verweisen darauf, dass Menschen nach (!) Verbüßung einer Haftstrafe weiterhin in Haft bleiben und an Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit bis zu ihrem Tod leiden. Und Meyer-Falk geht gar einen Schritt noch weiter, er nennt diesen Zustand eine „bundesdeutsche Variante“ der Todesstrafe.

Das Bundesverfassungsgericht selbst wies in einem Urteil vom Mai 2011 an, dass spätestens ab Juni 2013 die Haftbedingungen der SV zu verbessern seien. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass der Vollzug künftig freiheitsorientierter ausgerichtet werden soll, um Inhaftierten die Hoffnung zu vermitteln, wieder in Freiheit zu gelangen.

Meyer-Falks „Bericht“ unterstützt dieses politische Anliegen. Es ist ein gutes Buch in zweifacher Hinsicht geworden. Einmal ästhetisch, also aus dem Blick des Layouts: Einband, Papier und Satzspiegel – alles harmonisiert miteinander. Aber auch vom Inhalt: Denn es macht nachdenklich. Über Menschen, über die Justiz und über das Leben überhaupt.

Bisher nur bestellbar (zuzüglich Versandkosten) über den Onlinehandel: https://www.edition-luekk-noesens.de/shop/drecksack-edition/  oder per E-Mail: edition.ln@gmail.com.

Titelbild

Thomas Meyer-Falk: Briefe aus dem Knast. Kolumnen. Hg. von Florian Günther.
DreckSackedition.
Moloko Print, Schönebeck 2024.
190 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783910431409

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