Die Tauglichkeit der Übersetzungsarbeit

Ein auf Rumänisch geführtes Gespräch zwischen E. M. Cioran und Ion Deaconescu liegt nun in einer deutschen Übersetzung vor

Von Thomas MerklingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Merklinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen 1987 und 1992 besuchte der rumänische Literaturwissenschaftler und Dichter Ion Deaconescu den damals schon um die 80 Jahre alten Exil-Rumänen Emil M. Cioran mehrmals in dessen Mansardenwohnung in der Pariser Rue de l’Odéon, um mit ihm auf sein Leben und Werk zurückzublicken. Die in Ciorans Muttersprache geführten Gespräche sind bereits im Jahr 2000 in Rumänien veröffentlicht worden („Dacă m-aş fi aruncat în Sena…“: Convorbiri cu Emil Cioran) und liegen nun unter dem Titel „Hätte ich mich in die Seine gestürzt …“: Ein Gespräch in deutscher Übersetzung vor. Eine Reihe privater Fotografien Deaconescus, die im Rahmen der Begegnungen entstanden sind, bebildern den Band. Sie zeigen den schon recht betagten Denker zu unterschiedlichen, undatierten Zeitpunkten auf teilweise verschwommenen Aufnahmen mit dem Charme alter Familienfestschnappschüsse. Vorangestellt ist eine kurze Einleitung des seit 1976 ebenfalls in Frankreich lebenden rumänischen Schriftstellers Gheorghe Astaloş.

Die beiden führen kein philosophisches Gespräch; Deaconescu sieht in Cioran in erster Linie einen bedeutenden exilrumänischen Literaten. Daher drehen sich die Fragen vor allem um dessen Lebensweg, die intellektuelle Kultur Rumäniens sowie biographische und thematische Aspekte von Ciorans Schaffen. Einen großen Teil des Interviews nehmen Ciorans Verhältnis zu Gott, seine Lebensorte – insbesondere Paris – sowie die Unterschiede der rumänischen und französischen Sprache ein.

Die Fragen Deaconescus wirken ehrfürchtig und gestelzt. Womöglich liegt dies daran, „dass das große Unglück Rumäniens darin besteht, eine äußerst poetische Sprache zu besitzen“, wie Cioran meint. Für ein deutschsprachiges Publikum sind die von der Übersetzung übernommenen ausladenden Satzstrukturen eher gewöhnungsbedürftig. Im Vorwort des Muttersprachlers Astaloş hingegen nimmt sich die Gesprächsführung folgendermaßen aus:

Mit einer fast perversen rhetorischen Finesse lädt Ion Deaconescu den Philosophen ein, sich ihm zu offenbaren, und dieser, ermutigt durch die explizite Natur der Fragen und sensibilisiert durch ihre offenkundige Intelligenz, lässt sich bequem im irreduziblen Raum der Zersplitterung des Glaubens nieder und offenbart seine frühreife Abneigung gegen das Wort „Gott“ und gegen all das, was diese belastete Bezeichnung mit sich trägt oder symbolisiert.

In der deutschen Ausgabe lässt sich allerdings kaum erahnen, was mit dieser Charakterisierung gemeint sein mag, und auch die Lektüre des gesamten Gesprächstexts gibt keinen Aufschluss über die nahezu „perversen“ Subtilitäten auf Seiten des Fragenden. Es lässt sich auch nicht erahnen, wie es sich Cioran angesichts der geballten Geistesstärke „sensibilisiert“ im „irreduziblen Raum der Zersplitterung des Glaubens“ gemütlich macht – denn was genau sollte das auch meinen? Ob sich dieser Satz im Original verständlicher ausnimmt, ist schwer zu beurteilen. Es stellt sich jedoch die Ahnung ein, dass es ein Problem mit der Übersetzung gibt, das wohl nicht in erster Linie mit der Poesie des Rumänischen zusammenhängt. Auch der Interviewtext ist mit ähnlich unverständlichen Passagen durchsetzt. Weil die Originalausgabe auf die Schnelle nicht greifbar war, hat sich zumindest eine französische Übersetzung auftreiben lassen, um möglicherweise so über einige besonders dunkle Stellen Aufschluss zu erhalten.

In der Tat bietet die von Nicole Pottier vorgenommene Übertragung ins Französische, die ebenfalls Ende letzten Jahres unter dem Titel La vie comme désespoir sublimé: Entretien avec Emil Cioran in der Éditions Muse erschienen ist, nicht nur einen nachvollziehbareren Text, sondern weist auch weitere bemerkenswerte Entscheidungen auf. Daher sollen die beiden Übersetzungen kurz gegenübergestellt werden.

Abgesehen von zuletzt vernachlässigbaren Grammatik- und Satzbaufehlern finden sich in der deutschen Ausgabe verschiedentlich auch Sätze, deren Bedeutung sich beim besten Willen und selbst mit viel Fantasie kaum erschließt. So heißt es etwa über Ciorans Schlaflosigkeit, sie habe zu seiner „ächtende[n] Haltung“ und „Unentgeltlichkeitsekstase“ geführt. Weiterhin erfährt man, dass er mit dem Gedanken gespielt habe, Förster zu werden, „[w]egen der Tauglichkeit der Arbeit“. Und zur Frage, ob er an Gott glaube, hebt die Antwort mit den Worten „Ich möchte, dass man dies versteht“ an, um dann doch ganz unverständlich fortzufahren, „wir haben eine wahrhaftige, echte Fertilität in Bezug auf die Zersetzung des Glaubens erreicht“.

Die französische Übersetzung gibt zumindest punktuell Aufschluss darüber, was im Originaltext gestanden haben mag. So ruft die Formulierung, die Katastrophe der Schlaflosigkeit „m’a consolidé dans la persécution et dans l’extase de la gratuité“ zumindest eine stärkere Ahnung des Gesagten hervor. Es wird zudem deutlich, dass die deutsche Ausgabe offenbar falsche und sinnentstellende Entscheidungen trifft, denn wo von der „Tauglichkeit der Arbeit“ gesprochen wird, heißt es im Französischen plötzlich ganz nachvollziehbar „Pour la frivolité du métier“ und erklärt dann auch, warum Cioran von dem Interviewer zwei Fragen später gefragt wird, ob er je mit der „Frivolität“ geflirtet habe. Statt „Fertilität“ heißt es „fécondité“ (im Sinne von ‚Schöpferkraft‘), was zu dem durchaus nachvollziehbaren, paradox formulierten Gedanken führt: „Je voudrais qu’on comprenne que je suis arrivé à une réelle fécondité en ce qui concerne la désagrégation de la foi […]“. Und ein Satz wie „Ich kann mich erinnern, dass Ionescu einmal sogar Noica auf seinen Vorlesungen ausgeladen hat“ wird in der französischen Übersetzung verständlich und elegant: „Je me souviens qu’il a dit un jour à Noica de ne plus venir aux cours.“

Die französische Übersetzung ist manchmal ausführlicher, manchmal nimmt sie Kürzungen vor. Das Vorwort etwa besitzt im Französischen einen zusätzlichen Absatz, worin Deaconescu erklärt, dass ihm Gastprofessuren in Jugoslawien das Privileg eines Passes einbrachten, was ihm als Rumänen zu der damaligen Zeit erst ermöglichte, Cioran in Paris aufzusuchen. Warum dieser Teil in der deutschen Ausgabe fehlt, erschließt sich nicht. Ausführlicher nehmen sich hingegen die barock anmutenden Fragen aus, die in der französischen Fassung knapper und lesbarer ausfallen („Herr Cioran, um die Monotonie der Geständnisse zu vermeiden, möchte ich Sie bitten, wenn Sie damit einverstanden sind, zusammen mit mir einen Weg einzuschlagen, der Ihnen gut bekannt ist.“ / „Monsieur Cioran, j’aimerais emprunter avec vous un chemin qui vous est très connu“).

Auf zwei Unterschiede soll noch hingewiesen werden, da sie den Inhalt des Gesprächs berühren. Deaconescu hat teilweise Zugriff auf Korrespondenzen Ciorans erhalten und bezieht sich in seinen Fragen auf Briefe an die Eltern sowie auf die Liebesbriefe einer ehemaligen Freundin. Die Übersetzungen unterscheiden sich darin, wer aus einem der letztgenannten Briefe vorliest. Wahrscheinlich ist es wohl sogar Cioran (wie der französische Text impliziert), der die Sehnsuchtszeilen vorträgt, um sich über ihre „Dummheit“ zu amüsieren und die Beziehung zu der jungen Frau lediglich als Zeitvertreib auszustellen. Der Erkenntnisgewinn lässt sich dabei wohl nur in einer charakterlichen Selbstoffenbarung sehen. Die französische Ausgabe ersetzt in dieser unangenehmen Passage immerhin den Nachnamen der jungen Frau durch drei Punkte. Auffallend ist zudem, dass auch die nationalchauvinistischen und antijüdischen Bemerkungen im letzten Teil des Interviews zu Ciorans Sicht auf die Gegenwart weggelassen werden.

In der deutschen Ausgabe hingegen finden sich einerseits seltsame Kommentare zur Weltlage im Nostradamus-Stil („Wenn Deutschland Stolz und Machtrausch aufgeben wird, weil die Landeswährung Gänsehaut hervorruft, sich daraufhin mit Frankreich verbündet, dann wird aus Europa nicht die größte Provinz der Welt.“). Andererseits sieht Cioran eine Verwässerung des rumänischen Bluts gegeben, äußert abwertende Stereotype über Ungarn und negiert offenbar eine rumänische Beteiligung an der Judenverfolgung. Obgleich er in dem Gespräch sowohl seine Mitgliedschaft in der Eisernen Garde bereut und einräumt, einige in Die Verklärung Rumäniens (1937) veröffentlichte Textpassagen gerne ungeschehen machen zu wollen, zeichnen die am Ende des Gesprächs geäußerten Ansichten doch ein widersprüchlicheres Bild.

Trotz der Selbstdistanzierung von seiner faschistischen Jugend hat Cioran wohl noch in späteren Jahren antijüdische Vorstellungen vorgetragen. Einen Einblick in Ciorans Leben erhält man auch aus den Akten des rumänischen Geheimdienstes, die der Politikwissenschaftler Stelian Tănase in seiner bislang unübersetzten Studie Cioran și Securitatea (2010) ausgewertet hat. Aus einer Besprechung des Buchs von Joseph Croitoru in der FAZ (Der lange Atem der Denunziationergibt sich, dass Cioran gegenüber einem der Securitate zuarbeitenden Gesprächspartner von einer amerikanischen Reporterin zu berichten wusste, die bei ihren Recherchen unter der rumänischen Bevölkerung keine Bestätigung für das gängige Bild der Rolle Rumäniens bei der Judenvernichtung während des Weltkriegs habe finden können. Ihr Artikel sei daher unterdrückt worden. Möglicherweise bezieht sich Cioran in dem Gesprächsband ebenfalls auf diese Anekdote, wenn er behauptet, die Rumänen hätten den Juden im Krieg geholfen. Er versteigt sich dabei gegenüber Deaconescu sogar zu der These: „Die Juden schulden uns etwas.“

Man hätte diese historisch nicht haltbaren und befremdlichen Äußerungen – zumal von jemandem, der in seiner Jugend selbst antisemitische Vorstellungen verbreitet hat – zwar nicht stillschweigend entfernen müssen, wie in der französischen Übersetzung geschehen. Immerhin geben sie einen Einblick in Ciorans Überzeugungen. Eine kontextualisierende Fußnote, wie sie in dem Gesprächsband an anderen Stellen erfolgt, wäre hier aber doch sinnvoll gewesen. Statt dessen drängt sich wieder die irritierende Übersetzung auf, denn der letzte Satz der Bemerkungen Ciorans wiederholt auf Rumänisch, ‚dass wir den Juden geholfen haben, nicht dezimiert zu werden‘ („Că i-am ajutat pe evrei să nu fie decimaţi.“)  

Die mit Deaconescu geführten Gespräche bieten für die Auseinandersetzung mit der Biographie Ciorans sicherlich einige Impulse. In der vorliegenden Form ist aufgrund der nicht immer verständlichen Übersetzung ein Blick in den Originaltext (oder zumindest eine Übersetzung in der Fremdsprache) aber hilfreich.

Titelbild

Emil M. Cioran / Ion Deaconescu: ‚Hätte ich mich in die Seine gestürzt …‘. Ein Gespräch. Mit einer Einleitung von Gheorghe Astaloş.
Aus dem Rumänischen von Gabriela Căluţiu Sonnenberg.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2023.
70 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783826079900

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