In der Welt zuhause und ein Mitteleuropäer im Herzen

Zum Tod des amerikanischen Germanisten, Literaturwissenschaftlers und Übersetzers deutsch-jüdisch-böhmischer Herkunft Peter Demetz (1922-2024)

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Der 1922 in Prag geborene Literaturwissenschaftler Peter Demetz ist ein geborener Komparatist. Die ladinische Familie seines Vaters(1894-1983) war einst von Südtirol nach Prag übersiedelt, die deutsche Mutter hatte als Jüdin Theresienstadt nicht überlebt. In der Familie war deutsch, ladinisch und tschechisch gesprochen worden. Der ständige Blick über sprachliche wie nationale Zäune hinweg half, seine Sinne nicht zuletzt bezüglich eigener Stärken und Schwächen der verschiedenen Volksgruppen zu schärfen.

Das Spannungsfeld Mitteleuropa mit Prag im Herzen begleitete Peter Demetz auf seiner lebenslangen Suche nach Antworten auf die Herausforderungen zweier totalitärer Ideologien samt ihrer brutalen Verwirklichung in der realen Machtausübung. Die Gestapo hatte den jungen Mann inhaftiert, und 1949, kurz nach der Machtübernahme der tschechoslowakischen Kommunisten, war Peter Demetz mit einer kleinen Gruppe bei Nacht und Nebel die Flucht durch den Böhmerwald nach Bayern gelungen.

Im Westen folgten Jahre des Studiums und die Mitarbeit als tschechischer Kulturredakteur des Senders „Radio Freies Europa“. In den USA hatte Peter Demetz Jahrzehnte bis zu seinem Emeritierung 1991 als Professor an der Yale Universität in New Haven, Connecticut gelehrt. Einen Ruhestand hatte ihm seine unermüdliche publizistische Tätigkeit nicht gegönnt. Eine unerwartete Herausforderung stellte sich zudem mit dem gewaltlosen Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“. Mit einem Male waren seit der „Samtenen Revolution“ vom Herbst 1989 für Peter Demetz in seiner alten Heimat Prag wieder alle Türen geöffnet. Er wagte zeitweise das Experiment einer Rückkehr und nahm als gefeierter Wissenschaftler Ehrungen entgegen.

Zeit seines Lebens hatte Peter Demetz immer wieder Gelegenheiten benutzt, auf die Vielfalt und den thematischen wie literarischen Formenreichtum der tschechischen Literatur aufmerksam zu machen. Die Übersetzung des tschechischen Klassikers Die Großmutter (Babička) von Božena Němcová zusammen mit seiner Frau Hanna Demetz im Jahr 1959 bis hin zu übersetzten Versen großer tschechischer Dichter wie Jan Čep, František Halas, Ludvík Kundera oder Jiří Orten sowie unzählige Artikel, Herausgaben und Vorworte zu Publikationen tschechischer Schriftsteller zeugen von einem ungebrochenen Elan und einer nie abgerissenen Beziehung zum Land seiner Kindheit und Jugend.

Peter Demetz war einer der fünf Herausgeber der „Tschechischen Bibliothek“, die in 33 Bänden zwischen 1999 und 2007 in der Deutschen Verlagsanstalt erschienen sind. In einer selten gewordenen Mischung kommen gediegene philologische wie geschichtliche und politische Kenntnisse und ein sensibles Sprachgefühl den Lesern seiner Bücher zugute. Die Patina einer feinen ironischen Melancholie macht den geborenen Mitteleuropäer kenntlich, der sich zugleich souverän in der Welt zu bewegen versteht.

In zahlreichen Büchern und Beiträgen hatte Peter Demetz über Jahrzehnte hinweg immer wieder zu mitteleuropäischen Herausforderungen Stellung bezogen und Hintergründe aufgezeigt. Einige seiner Essaysammlungen und Werke Böhmische Sonne, mährischer Mond (1996), Prag in Schwarz und Gold (1998), Böhmen böhmisch (2006) oder Mein Prag (2007) sind mitteleuropäische Geschichts- und Lesebücher zugleich, die von persönlicher Zeitzeugenschaft profitieren.

In den jüngeren Ausgaben wie Auf den Spuren Bernard Bolzanos (2013) oder Diktatoren im Kino. Lenin, Mussolini, Hitler, Goebbels, Stalin gerinnen Erlebnisse und Erfahrungen mit der Reflexion eines Wissenschaftlers zu einer Art Vermächtnis, das Auskünfte über einen schwierigen Kontinent bereithält. Die Sammlung Was wir wiederlesen wollen (2022) bündelt mit der Eleganz seiner intellektuellen Stilistik die Bandbreite der Themen, mit denen sich Peter Demetz zeitlebens beschäftigt hatte.

In der Nacht vom 29. zum 30. April 2024 ist Peter Demetz im Alter von 101 Jahren in den USA verstorben.