Elizabeth Graver: Kantika mare Verlag


Die wechselvolle Geschichte einer jüdischen Familie erzählt uns die US-Amerikanerin Elizabeth Graver hier in Kantika. Wie Graver im Nachwort schreibt, ist es eine Mischung aus autobiographischen und fiktiven Teilen. Vor allem setzt sie hier ihrer Großmutter ein Denkmal, die auch die Hauptfigur im Roman ist. Der Text ist chronologisch gegliedert und untermalt mit Fotos aus dem Familienalbum. Kantika – der Titel sagt es bereits: die Musik und der Gesang spielen eine wichtige Rolle.

„Es ist die schöne Zeit, die Zeit der ausgebreiteten Flügel, der Freudensprünge und der offenen Türen, das Leben ein haltloser Fluss von hier nach dort. Es ist die vorgedankliche Zeit, die Welt noch nicht als Listen wahrgenommen, nicht als Rückblick oder Futur, sondern als inbrünstige Musik – kantar, singen.“

Die Geschichte spielt in der Zeit von 1907 bis 1945. Wir erleben das Aufwachsen der Hauptfigur Rebecca im bunten weltläufigen Konstantinopel/Istanbul um 1910. Es ist eine behütete Kindheit in einer wohlhabenden sephardisch-jüdischen Familie. Bis die Sicherheiten ab den 20er Jahren langsam zu bröckeln beginnen. Der Vater, angesehener Geschäftsmann, der jedoch mit dem Geld leichtsinnig umgeht, die Geschäfte, die nicht mehr gut gehen, und die Bedrohungen der Außenwelt, die in den idyllischen liebevoll angelegten Garten eindringen, zeugen davon. Rebeccas beste Freundin Lika wandert mit ihrer Familie nach den USA aus, ein großer Verlust. Rebecca lernt nähen und verdient bald ihr eigenes Geld. Sie heiratet einen nicht wirklich geliebten Mann, der sie immer wieder im Stich lässt, mit zwei Kindern allein lässt und sie bald zur Witwe macht, so dass sie zu den Eltern zurückkehrt und wieder zur Arbeit geht.

Die Situation spitzt sich zu. Es ist 1925. Auch die Eltern planen eine Auswanderung. „Zurück“ nach Spanien, woher sie ursprünglich stammen, dessen Sprache sie kennen. Doch es wird ein Abstieg. Der Vater findet Arbeit in einer Synagoge, die Familie wohnt in einer Wohnung darüber. Rebecca und ihre Brüder suchen Arbeit, was mit jüdischer Herkunft schwierig ist. Und sicher bleibt es auf Dauer auch nicht. Die politisch angespannte Situation in Europa macht sich auch in Barcelona bemerkbar. Die Eltern wollen die Tochter in Sicherheit wissen. Und so wird Rebecca den völlig unbekannten Mann ihrer verstorbenen Freundin Lika auf Kuba treffen, heiraten, nach USA gehen, ihre eigenen Kinder nachholen und seine behinderte Tochter als Kind annehmen und es kommen weitere Kinder mit dem neuen Mann hinzu. Beide raufen sich zusammen und auch hier geht Rebecca wieder ihrer eigenen Arbeit nach. Der Tod der Eltern, die in Europa zurück bleiben mussten – die Bürokratie verhinderte, dass die Eltern in die USA kommen durften – wiegt schwer. Der Krieg, der die Brüder nimmt. Nach einer aufreibenden Zeit, stellt sich aber ein dauerhaftes Familienglück ein.

Der Roman schildert das unruhige, aufreibende Leben einer unglaublich robusten Frau, die trotz der ganzen Erschütterungen und Hindernissen nie ihr gutes Lebensgefühl verliert. Die selbständig arbeitet und eigene Entscheidungen trifft, mitunter gegen alle Widerstände. Rebecca singt. Das scheint ihre Ressource ihr ganzes Leben hindurch zu sein. Sehr ungewöhnlich für diese Zeit und für das Umfeld, aus dem sie kommt. Und es weitete sich für mich der Blick auf jüdisches Leben in verschiedenen Teilen der Welt. Sehr interessant und aufschlussreich. Und ganz nebenbei ein echter Schmöker.

Der vielschichtige Roman erschien im mare Verlag. Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch wurde er von Juliane Zaubitzer. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

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