Alle Artikel von Volltext

Wenn die Tochter mit dem Vater

Im Herbst 1972 entschloss sich Georges Simenon, damals 69 Jahre alt, die Schriftstellerei definitiv aufzugeben. Der Entscheid erfolgte ziemlich unvermittelt und wurde bekräftigt dadurch, dass der weltweit berühmte Großschriftsteller all seine Personalpapiere korrigieren ließ – statt seiner Bezeichnung als „Romancier“ …

Verstehen neben dem Verstehen

Georges Perros: „All den ungestümen Wesen, die sich unter meinem erbärmlichen Namen regen, das Wort geben.“ (Foto: Marc Foucault) Man sagt mir, ich sei geboren / aber in so einem komischen Ton“, mit diesem Satz beginnt Georges Perros „Gedichtroman“ …

Dr. Roseis Welt-Impromptus

Peter Rosei: Ding um Ding erzählt – das ist der Grundrhythmus seiner Literatur. Foto: Gabriela Brandenstein Zugegeben: Auf den ersten Blick scheint es wichtigere und spannendere Bücher zu geben als eine mit dem großartigen Understatement der Unbestimmtheit angekündigte Sammlung von …

Präauer streamt

Wir haben so viel an Aggression geparkt in unseren Herzen … „Hallo, ihr Lieben. Ich bin Mady, und ich freue mich, dass ihr heute wieder eingeschaltet habt“, sagt Mady am Anfang jedes ihrer Videos. Mady Morrison ist dreißig Jahre alt, …

„Sie sind ein Sprachfaschist!“

Alban Nikolai Herbst: „Wenn man als 15-jähriges Mädchen, als alter Mann oder als Banker in den Chat geht, schult das ungemein.“ Foto: Thomas Hummitzsch THOMAS HUMMITZSCH Sie mussten 1983 nur wenige Minuten nach Rainald Goetz’ sagenumwobenem Auftritt in Klagenfurt …

Bukowski in Wolfenbüttel

Klaus Modick: „Literaturproduktion ist wesentlich ein sich selbst generierender Prozess. Wer auf ‚gute Ideen‘ wartet, wartet vergeblich.“ Foto: Online2013 Es gab viel frühreifen Weltschmerz und postpubertären Lebensekel….

Kerker, Klinik und Klausur

Arthur Schopenhauer: „Dass ein Mal Einer eine tragische Litteraturgeschichte versuchte!“ Foto: Johann Schäfer, 1859 Der im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie verordnete allgemeine Ausnahmezustand hat sich auf den Literaturbetrieb, der seine Dynamik vorab aus Buchpremieren, Preisverleihungen, Messen, Workshops und …

Andreas Maier: Neulich

Neulich herrschte hier ein eigenartiger Zustand. Ich gehe ja gern in Kneipen und auf Märkte. In Frankfurt (ich wohne nicht mehr in Hamburg) kann man das gut, und Leute wie ich haben da einen Wochenrhythmus….

Lumpenproletariat im Ausgehbezirk

Thorsten Nagelschmidt: Genauer Blick auf die Realität Berlins im Jahre 2020. Foto: Verena Brüning In der Popmusik erweist sich nicht selten das Debütalbum als die beste Platte jeder Band, während in der Literatur wildernde Popmusiker zumeist von Buch zu Buch …

Schreiben Sie auch ein Corona-Tagebuch?

I Vor einem Jahr hätte man darin mit einiger Mühe vielleicht noch ein allzu pessimistisches Sinnbild unserer Gesellschaft sehen können, aber jetzt war es bestenfalls eine missverständliche Anekdote, die nicht mehr recht in die Zeit passte. Ich war im Gebirg’ …

Wie man Leichen im Keller verscharrt

Koleka Putuma: Geliebt werden, wie Mandela von weißen Leuten geliebt wird. Foto: Mawande Sobethwa Seit einigen Jahren übertreffen einander Kommentatoren mit Aussagen über Südafrika, wonach die ab 1994 in Post-Apartheid geborene „freie Generation“ offenbar Rückschritte mache. Diese junge Generation halte …

Iris Hanika: Echos Kammern

Aus Gründen der Chronologie fangen wir in Manhattan an, und um die Erzählung nicht sinnlos zu zerfleddern, sondern der Bahn der Ereignisse vielmehr pfeilgerade zu folgen, geht es erst einmal nur um Sophonisbe. Ja, sie trägt einen ungewöhnlichen Namen, aber …

Ischgl – Delirium Alpinum

Die Bilder dieses Beitrages sind Lois Hechenblaikners neuem Fotobuch „Ischgl“ entnommen. „Das muss ich fotografieren, aus dieser Perspektive habe ich es noch nicht“, murmelt Lois Hechenblaikner, während er an einem Apriltag des Jahres 2020 recht hochtourig einen Schotterweg hinauffährt. Die …

Jüngelismus und Operettenvertrottelung

Studienjahr 1962/63 an der University of Kansas, Lawrence, Kansas, USA. Bei einem Treffen von vier Fulbright-Stipendiaten aus Österreich – einer davon der nachmalige Innsbrucker Germanistik-Ordinarius Sigurd Paul Scheichl – und eines österreichischen Germanistik-Gastdozenten im Frühjahr 1963 spielt eine Kommilitonin eine …

Zwischen Schwerkraft und Gnade

Ich will schon lange eine Rezension über ein Buch von meinem Freund Artur Becker schreiben. Artur Becker ist ein Schriftsteller, der in der Öffentlichkeit zu wenig Beachtung erfährt. Dabei gehört er zu den wenigen Autorinnen und Autoren deutscher Sprache, die …

Piran, Juni 2016

Ein kranker Mensch sagte zu mir, er würde gerne all jene, um die er sich nun nicht mehr kümmern kann (Katzen, senile Mutter) wie Lampen ausschalten – „switch them off one by one“ – damit er sie, von seiner verhinderten …

Pfingstidyll an der Reichsautobahn

Karl Heinrich Waggerl: Von höherem Willen umtost. Eine bessere Blume hätte sich Karl Heinrich Waggerl gar nicht an den Trachtenjanker heften können. Von einem Vergissmeinnicht handelt ein Gedicht, das wie eine Essenz seiner blutleeren und bodennahen Lyrik ist: „Das Blümchen …

Das Schwarze Quadrat und das Absolute

Die Farbe Schwarz ist für die Schweizer Dichterin, Übersetzerin und literarische Kosmopolitin Ilma Rakusa ein Faszinosum. Zu ihren biografischen und ästhetischen Elementarerfahrungen gehörte die Begegnung mit dem „Schwarzen Quadrat auf weißem Grund“ des russischen Avantgardisten Kasimir Malewitsch. Oder der Blick …